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Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.

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das Leitmotiv des geistlichen Trauerspiels bleibt das pwo_195.002
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als Mysterienbühne anhebt, geht von ähnlichen Voraussetzungen pwo_195.005
aus. Stoffgebiet ist die Ali-Legende, der Untergang Alis, des pwo_195.006
Schwiegersohns und edelsten Anhängers von Mohammed.

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Das humanistische Trauerspiel.
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Die organische Entwicklung des modernen Dramas wurde von pwo_195.010
antiken Einflüssen durchbrochen. Entsprechend dem Zuge der Renaissancebewegung pwo_195.011
knüpften die modernen Völker, sobald einmal die pwo_195.012
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die Form etwas zu gewinnen war, liegt auf der Hand. Die Form pwo_195.016
ist es nun allerdings, welche kunstvoller und dabei geschlossener wird: pwo_195.017
besonders begünstigt das antike Vorbild die Akt- und Scenen-Teilung. pwo_195.018
Außer dem Pro- und Epilog tritt häufig eine Vorankündigung pwo_195.019
(Argumentum) vor jeden Akt.

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so tauchten doch auch neulateinische Trauerspiele nach dem pwo_195.022
Muster des Seneca auf. Als die humanistischen Dichter zum Gebrauch pwo_195.023
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doppelt unorganisch aus. Zur selbständigen Ausgestaltung pwo_195.027
des weltlichen Dramas hat sie aber wesentlich beigetragen.

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Das französische Trauerspiel.
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Am natürlichsten noch erscheint diese Berührung der modernen pwo_195.031
Welt mit dem römischen Geist innerhalb der romanischen Völker. pwo_195.032
Wie ihre Sprache auf das Latein zurückgeht, läßt sich ihre Verwandtschaft pwo_195.033
im Grundzug der litterarischen Entwicklung nicht verkennen.

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Zitationshilfe: Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/209>, abgerufen am 28.04.2024.