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Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.

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Wie fast die gesamte Terminologie antiker Rhetoriker, haftet auch die pwo_254.002
übliche Benennung dieser Erscheinung am Aeußerlichen: Metonymie pwo_254.003
d. i. Umnennung. Jn Wirklichkeit handelt es sich immer um das pwo_254.004
Auffangen des sinnlich ergiebigsten Momentes im Begriff: daher pwo_254.005
das Wesentliche, das Markante oder doch ein besonders augenfälliger pwo_254.006
Teil des zu bezeichnenden Gegenstandes herausgehoben wird. Es ist pwo_254.007
im Prinzip keine andere Wendung als die uns immer in der alten pwo_254.008
liedartigen Dichtung entgegentrat, indem statt des handelnden Menschen pwo_254.009
das besondere Organ der Thätigkeit bezeichnet wird:

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"der dahte im eine werben des künic Gunthers muot", pwo_254.011
"daz sol helfen prüeven iwer edeliu hant"
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u. dgl., nur daß sich die Anschaulichkeit des Dichtergeistes nicht mit pwo_254.013
diesem unmittelbar gegebenen, von selbst hervortretenden Hauptmoment pwo_254.014
begnügt, vielmehr eigenmächtig mit eindringendem Blick einen möglichst pwo_254.015
plastischen Einzelzug herausschält. Der unbewußte Trieb des pwo_254.016
Dichtergeistes, allem die anschaulichste Seite abzugewinnen, läßt namentlich pwo_254.017
Ursache und Wirkung einander ersetzen, um die lebendigste Vorstellung pwo_254.018
zu gewinnen oder doch eindringlicher zu schauen als es unter pwo_254.019
den gewöhnlichen, abgeschliffenen Begriffen geschieht. Vor allem tritt pwo_254.020
gern ein sinnfälliges Merkmal für einen Zustand:

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"Wie sich der reiche betraget! pwo_254.022
so dem nothaften waget pwo_254.023
dur daz lant der stegereif!" -

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wo wiederum nicht sowohl der Stegreif selbst als vielmehr die ungewisse, pwo_254.025
unstete Lebensweise des im Stegreif Sitzenden bezeichnet wird. pwo_254.026
Jmmer erfaßt das Dichterauge die Objekte an einem besonders pwo_254.027
anschaulichen Kennzeichen.

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§ 103. pwo_254.029
Bild und Gleichnis.
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Der poetische Ausdruck bleibt nicht an den unmittelbaren Beziehungen pwo_254.031
des Gegenstandes haften: mehr und mehr überträgt er ihn pwo_254.032
später sogar in eine andere Sphäre, welche den wesentlichen Begriff pwo_254.033
reiner und unmittelbarer hervortreten läßt. Wiederum ist diese

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sô dem nôthaften waget pwo_254.023
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unstete Lebensweise des im Stegreif Sitzenden bezeichnet wird. pwo_254.026
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Bild und Gleichnis.
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  Der poetische Ausdruck bleibt nicht an den unmittelbaren Beziehungen pwo_254.031
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[254/0268] pwo_254.001 Wie fast die gesamte Terminologie antiker Rhetoriker, haftet auch die pwo_254.002 übliche Benennung dieser Erscheinung am Aeußerlichen: Metonymie pwo_254.003 d. i. Umnennung. Jn Wirklichkeit handelt es sich immer um das pwo_254.004 Auffangen des sinnlich ergiebigsten Momentes im Begriff: daher pwo_254.005 das Wesentliche, das Markante oder doch ein besonders augenfälliger pwo_254.006 Teil des zu bezeichnenden Gegenstandes herausgehoben wird. Es ist pwo_254.007 im Prinzip keine andere Wendung als die uns immer in der alten pwo_254.008 liedartigen Dichtung entgegentrat, indem statt des handelnden Menschen pwo_254.009 das besondere Organ der Thätigkeit bezeichnet wird: pwo_254.010 „der dâhte im eine werben des künic Gunthers muot“, pwo_254.011 „daz sol helfen prüeven iwer edeliu hant“ pwo_254.012 u. dgl., nur daß sich die Anschaulichkeit des Dichtergeistes nicht mit pwo_254.013 diesem unmittelbar gegebenen, von selbst hervortretenden Hauptmoment pwo_254.014 begnügt, vielmehr eigenmächtig mit eindringendem Blick einen möglichst pwo_254.015 plastischen Einzelzug herausschält. Der unbewußte Trieb des pwo_254.016 Dichtergeistes, allem die anschaulichste Seite abzugewinnen, läßt namentlich pwo_254.017 Ursache und Wirkung einander ersetzen, um die lebendigste Vorstellung pwo_254.018 zu gewinnen oder doch eindringlicher zu schauen als es unter pwo_254.019 den gewöhnlichen, abgeschliffenen Begriffen geschieht. Vor allem tritt pwo_254.020 gern ein sinnfälliges Merkmal für einen Zustand: pwo_254.021 „Wie sich der rîche betraget! pwo_254.022 sô dem nôthaften waget pwo_254.023 dur daz lant der stegereif!“ – pwo_254.024 wo wiederum nicht sowohl der Stegreif selbst als vielmehr die ungewisse, pwo_254.025 unstete Lebensweise des im Stegreif Sitzenden bezeichnet wird. pwo_254.026 Jmmer erfaßt das Dichterauge die Objekte an einem besonders pwo_254.027 anschaulichen Kennzeichen. pwo_254.028 § 103. pwo_254.029 Bild und Gleichnis. pwo_254.030   Der poetische Ausdruck bleibt nicht an den unmittelbaren Beziehungen pwo_254.031 des Gegenstandes haften: mehr und mehr überträgt er ihn pwo_254.032 später sogar in eine andere Sphäre, welche den wesentlichen Begriff pwo_254.033 reiner und unmittelbarer hervortreten läßt. Wiederum ist diese

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Zitationshilfe: Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/268>, abgerufen am 16.05.2024.