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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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gung. Die Unruhe in der ich lebte, war
um so heftiger, je sorgfältiger ich sie vor al¬
len Menschen zu verbergen suchte. Der Ge¬
danke ihn zu verlieren, erschreckte mich und
die Möglichkeit einer nähern Verbindung
machte mich zittern. Der Gedanke des Ehe¬
standes hat für ein halbkluges Mädchen ge¬
wiß etwas Schreckhaftes.

Durch diese heftigen Erschütterungen ward
ich wieder an mich selbst erinnert. Die bun¬
ten Bilder eines zerstreuten Lebens, die mir
sonst Tag und Nacht vor den Augen schweb¬
ten, waren auf einmal weggeblasen. Meine
Seele fing wieder an sich zu regen; allein
die sehr unterbrochene Bekanntschaft mit dem
unsichtbaren Freunde war so leicht nicht wie¬
der hergestellt. Wir blieben noch immer in
ziemlicher Entfernung; es war wieder etwas,
aber gegen sonst ein großer Unterschied.

Ein Zweykampf, worin der Hauptmann

gung. Die Unruhe in der ich lebte, war
um ſo heftiger, je ſorgfältiger ich ſie vor al¬
len Menſchen zu verbergen ſuchte. Der Ge¬
danke ihn zu verlieren, erſchreckte mich und
die Möglichkeit einer nähern Verbindung
machte mich zittern. Der Gedanke des Ehe¬
ſtandes hat für ein halbkluges Mädchen ge¬
wiß etwas Schreckhaftes.

Durch dieſe heftigen Erſchütterungen ward
ich wieder an mich ſelbſt erinnert. Die bun¬
ten Bilder eines zerſtreuten Lebens, die mir
ſonſt Tag und Nacht vor den Augen ſchweb¬
ten, waren auf einmal weggeblaſen. Meine
Seele fing wieder an ſich zu regen; allein
die ſehr unterbrochene Bekanntſchaft mit dem
unſichtbaren Freunde war ſo leicht nicht wie¬
der hergeſtellt. Wir blieben noch immer in
ziemlicher Entfernung; es war wieder etwas,
aber gegen ſonſt ein großer Unterſchied.

Ein Zweykampf, worin der Hauptmann

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[239/0245] gung. Die Unruhe in der ich lebte, war um ſo heftiger, je ſorgfältiger ich ſie vor al¬ len Menſchen zu verbergen ſuchte. Der Ge¬ danke ihn zu verlieren, erſchreckte mich und die Möglichkeit einer nähern Verbindung machte mich zittern. Der Gedanke des Ehe¬ ſtandes hat für ein halbkluges Mädchen ge¬ wiß etwas Schreckhaftes. Durch dieſe heftigen Erſchütterungen ward ich wieder an mich ſelbſt erinnert. Die bun¬ ten Bilder eines zerſtreuten Lebens, die mir ſonſt Tag und Nacht vor den Augen ſchweb¬ ten, waren auf einmal weggeblaſen. Meine Seele fing wieder an ſich zu regen; allein die ſehr unterbrochene Bekanntſchaft mit dem unſichtbaren Freunde war ſo leicht nicht wie¬ der hergeſtellt. Wir blieben noch immer in ziemlicher Entfernung; es war wieder etwas, aber gegen ſonſt ein großer Unterſchied. Ein Zweykampf, worin der Hauptmann

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/245>, abgerufen am 30.04.2024.