Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ausgeschlagenen Fenster in seine Schulstube hineinwehte, die Gemeindekasse
zerbrochen auf der Straße lag und die Dorfgemeinde, deren Rechnungen
er schrieb, bewaffnet in den Wald gezogen war, mit finstern ungesetzlichen
Anschlägen, welche der Landesregierung niemals berichtet wurden. So unnütz
dies Schrcibcrwcsen in vielen Fällen war, es zog doch zahllose Fäden, durch
welche der Einzelne an die Ordnung seines Staates gebunden wurde. Und
daß der Mechanismus der Verwaltung sich erhielt, war in den Pausen und
am Ende des Krieges von größter Bedeutung.

Das beste Verdienst aber um die Erhaltung des deutschen Volkes hatten
die Landgeistlichen und ihr heiliges Amt. Zuverlässig war ihr Einfluß in
den katholischen Landschaften nicht geringer, als in den protestantischen, wenn
uus auch wenig Nachrichten darüber geblieben sind, denn die katholischen
Dorfpfarrer waren damals ebenso dem Schreiben abhold, als die evangelischen
schrcibclustig. Doch an der Bildung ihrer Zeit hatten die protestantischen
Pfarrer einen weit größeren Antheil. Die deutsche gelehrte Bildung war
durch die Reformatoren wesentlich theologisch geworden, und die Pfarrgeist-
lichen repräsentirten diese Intelligenz gegenüber dem adligen Gutsherrn und
den Bauern. Sie waren in der Regel in den alten Sprachen gut bewandert,
geübt Latein zu schreiben und elegische Verse zu machen. Sie waren starke
Disputircr, wohlerfahren in dogmatischen Streitigkeiten, voll eifrigem Zorn
gegen Schwcnkfcldiancr, Theophrastianer, Rosenkreuzer und Wcigeliancr, hart¬
näckig, rechthaberisch, und ihre Lehre war stärker im Haß gegen die Ketzer,
als in Liebe gegen ihre Mitmenschen. Ihr Einfluß aus das Gewissen der
Laien hatte sie hochmüthig und herrschsüchtig gemacht, und die Begabteren unter
ihnen kümmerten sich mehr um Politik als für ihre Tugend gut war. Wenn
man einen Stand verantwortlich machen darf, für UnVollkommenheiten der
Zeitbildung, welche er nicht geschaffen hat, sondern nur repräsentirt. so hatte
die lutherische Geistlichkeit eine schwere und verhängnißvolle Schuld an der
Verödung des Gemüthes, der unpraktischen Kraftlosigkeit, dem trockenen,
langweiligen Formalismus, welche damals in deutschem Leben sehr oft zu Tage
kam. So waren die Geistlichen als Stand weder bequem noch besonders liebens¬
wert!), und selbst ihre Moralität war engherzig und inhuman. Aber all dies Unrecht
führten sie in den Zeiten der Armuth, der Trübsal und Verfolgung, lind unter
ihnen am meisten die armen Dorfpfarrer. Sie waren den größten Gefahren
ausgesetzt, den kaiserlichen Soldaten am meisten verhaßt, durch ihr Amt gezwun¬
gen sich dem Feinde bemerkbar zu machen, die Rohheiten, welche sie, ihre Frauen
und Töchter zu erdulden hatten, trafen tödtlich ihr Ansehen in der eigenen Ge¬
meinde. Ihr Leben wurde durch die Beiträge ihrer Beichtkinder erhalten, sie waren
nicht geübt und wenig geeignet, sich durch körperliche Arbeit die Tage zu fristen;
unter jeder Verringerung des Wohlstandes, der Sittlichkeit, der Menschenzahl


ausgeschlagenen Fenster in seine Schulstube hineinwehte, die Gemeindekasse
zerbrochen auf der Straße lag und die Dorfgemeinde, deren Rechnungen
er schrieb, bewaffnet in den Wald gezogen war, mit finstern ungesetzlichen
Anschlägen, welche der Landesregierung niemals berichtet wurden. So unnütz
dies Schrcibcrwcsen in vielen Fällen war, es zog doch zahllose Fäden, durch
welche der Einzelne an die Ordnung seines Staates gebunden wurde. Und
daß der Mechanismus der Verwaltung sich erhielt, war in den Pausen und
am Ende des Krieges von größter Bedeutung.

Das beste Verdienst aber um die Erhaltung des deutschen Volkes hatten
die Landgeistlichen und ihr heiliges Amt. Zuverlässig war ihr Einfluß in
den katholischen Landschaften nicht geringer, als in den protestantischen, wenn
uus auch wenig Nachrichten darüber geblieben sind, denn die katholischen
Dorfpfarrer waren damals ebenso dem Schreiben abhold, als die evangelischen
schrcibclustig. Doch an der Bildung ihrer Zeit hatten die protestantischen
Pfarrer einen weit größeren Antheil. Die deutsche gelehrte Bildung war
durch die Reformatoren wesentlich theologisch geworden, und die Pfarrgeist-
lichen repräsentirten diese Intelligenz gegenüber dem adligen Gutsherrn und
den Bauern. Sie waren in der Regel in den alten Sprachen gut bewandert,
geübt Latein zu schreiben und elegische Verse zu machen. Sie waren starke
Disputircr, wohlerfahren in dogmatischen Streitigkeiten, voll eifrigem Zorn
gegen Schwcnkfcldiancr, Theophrastianer, Rosenkreuzer und Wcigeliancr, hart¬
näckig, rechthaberisch, und ihre Lehre war stärker im Haß gegen die Ketzer,
als in Liebe gegen ihre Mitmenschen. Ihr Einfluß aus das Gewissen der
Laien hatte sie hochmüthig und herrschsüchtig gemacht, und die Begabteren unter
ihnen kümmerten sich mehr um Politik als für ihre Tugend gut war. Wenn
man einen Stand verantwortlich machen darf, für UnVollkommenheiten der
Zeitbildung, welche er nicht geschaffen hat, sondern nur repräsentirt. so hatte
die lutherische Geistlichkeit eine schwere und verhängnißvolle Schuld an der
Verödung des Gemüthes, der unpraktischen Kraftlosigkeit, dem trockenen,
langweiligen Formalismus, welche damals in deutschem Leben sehr oft zu Tage
kam. So waren die Geistlichen als Stand weder bequem noch besonders liebens¬
wert!), und selbst ihre Moralität war engherzig und inhuman. Aber all dies Unrecht
führten sie in den Zeiten der Armuth, der Trübsal und Verfolgung, lind unter
ihnen am meisten die armen Dorfpfarrer. Sie waren den größten Gefahren
ausgesetzt, den kaiserlichen Soldaten am meisten verhaßt, durch ihr Amt gezwun¬
gen sich dem Feinde bemerkbar zu machen, die Rohheiten, welche sie, ihre Frauen
und Töchter zu erdulden hatten, trafen tödtlich ihr Ansehen in der eigenen Ge¬
meinde. Ihr Leben wurde durch die Beiträge ihrer Beichtkinder erhalten, sie waren
nicht geübt und wenig geeignet, sich durch körperliche Arbeit die Tage zu fristen;
unter jeder Verringerung des Wohlstandes, der Sittlichkeit, der Menschenzahl


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0021" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105298"/>
              <p xml:id="ID_32" prev="#ID_31"> ausgeschlagenen Fenster in seine Schulstube hineinwehte, die Gemeindekasse<lb/>
zerbrochen auf der Straße lag und die Dorfgemeinde, deren Rechnungen<lb/>
er schrieb, bewaffnet in den Wald gezogen war, mit finstern ungesetzlichen<lb/>
Anschlägen, welche der Landesregierung niemals berichtet wurden. So unnütz<lb/>
dies Schrcibcrwcsen in vielen Fällen war, es zog doch zahllose Fäden, durch<lb/>
welche der Einzelne an die Ordnung seines Staates gebunden wurde. Und<lb/>
daß der Mechanismus der Verwaltung sich erhielt, war in den Pausen und<lb/>
am Ende des Krieges von größter Bedeutung.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_33" next="#ID_34"> Das beste Verdienst aber um die Erhaltung des deutschen Volkes hatten<lb/>
die Landgeistlichen und ihr heiliges Amt. Zuverlässig war ihr Einfluß in<lb/>
den katholischen Landschaften nicht geringer, als in den protestantischen, wenn<lb/>
uus auch wenig Nachrichten darüber geblieben sind, denn die katholischen<lb/>
Dorfpfarrer waren damals ebenso dem Schreiben abhold, als die evangelischen<lb/>
schrcibclustig. Doch an der Bildung ihrer Zeit hatten die protestantischen<lb/>
Pfarrer einen weit größeren Antheil. Die deutsche gelehrte Bildung war<lb/>
durch die Reformatoren wesentlich theologisch geworden, und die Pfarrgeist-<lb/>
lichen repräsentirten diese Intelligenz gegenüber dem adligen Gutsherrn und<lb/>
den Bauern. Sie waren in der Regel in den alten Sprachen gut bewandert,<lb/>
geübt Latein zu schreiben und elegische Verse zu machen. Sie waren starke<lb/>
Disputircr, wohlerfahren in dogmatischen Streitigkeiten, voll eifrigem Zorn<lb/>
gegen Schwcnkfcldiancr, Theophrastianer, Rosenkreuzer und Wcigeliancr, hart¬<lb/>
näckig, rechthaberisch, und ihre Lehre war stärker im Haß gegen die Ketzer,<lb/>
als in Liebe gegen ihre Mitmenschen. Ihr Einfluß aus das Gewissen der<lb/>
Laien hatte sie hochmüthig und herrschsüchtig gemacht, und die Begabteren unter<lb/>
ihnen kümmerten sich mehr um Politik als für ihre Tugend gut war. Wenn<lb/>
man einen Stand verantwortlich machen darf, für UnVollkommenheiten der<lb/>
Zeitbildung, welche er nicht geschaffen hat, sondern nur repräsentirt. so hatte<lb/>
die lutherische Geistlichkeit eine schwere und verhängnißvolle Schuld an der<lb/>
Verödung des Gemüthes, der unpraktischen Kraftlosigkeit, dem trockenen,<lb/>
langweiligen Formalismus, welche damals in deutschem Leben sehr oft zu Tage<lb/>
kam. So waren die Geistlichen als Stand weder bequem noch besonders liebens¬<lb/>
wert!), und selbst ihre Moralität war engherzig und inhuman. Aber all dies Unrecht<lb/>
führten sie in den Zeiten der Armuth, der Trübsal und Verfolgung, lind unter<lb/>
ihnen am meisten die armen Dorfpfarrer. Sie waren den größten Gefahren<lb/>
ausgesetzt, den kaiserlichen Soldaten am meisten verhaßt, durch ihr Amt gezwun¬<lb/>
gen sich dem Feinde bemerkbar zu machen, die Rohheiten, welche sie, ihre Frauen<lb/>
und Töchter zu erdulden hatten, trafen tödtlich ihr Ansehen in der eigenen Ge¬<lb/>
meinde. Ihr Leben wurde durch die Beiträge ihrer Beichtkinder erhalten, sie waren<lb/>
nicht geübt und wenig geeignet, sich durch körperliche Arbeit die Tage zu fristen;<lb/>
unter jeder Verringerung des Wohlstandes, der Sittlichkeit, der Menschenzahl</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0021] ausgeschlagenen Fenster in seine Schulstube hineinwehte, die Gemeindekasse zerbrochen auf der Straße lag und die Dorfgemeinde, deren Rechnungen er schrieb, bewaffnet in den Wald gezogen war, mit finstern ungesetzlichen Anschlägen, welche der Landesregierung niemals berichtet wurden. So unnütz dies Schrcibcrwcsen in vielen Fällen war, es zog doch zahllose Fäden, durch welche der Einzelne an die Ordnung seines Staates gebunden wurde. Und daß der Mechanismus der Verwaltung sich erhielt, war in den Pausen und am Ende des Krieges von größter Bedeutung. Das beste Verdienst aber um die Erhaltung des deutschen Volkes hatten die Landgeistlichen und ihr heiliges Amt. Zuverlässig war ihr Einfluß in den katholischen Landschaften nicht geringer, als in den protestantischen, wenn uus auch wenig Nachrichten darüber geblieben sind, denn die katholischen Dorfpfarrer waren damals ebenso dem Schreiben abhold, als die evangelischen schrcibclustig. Doch an der Bildung ihrer Zeit hatten die protestantischen Pfarrer einen weit größeren Antheil. Die deutsche gelehrte Bildung war durch die Reformatoren wesentlich theologisch geworden, und die Pfarrgeist- lichen repräsentirten diese Intelligenz gegenüber dem adligen Gutsherrn und den Bauern. Sie waren in der Regel in den alten Sprachen gut bewandert, geübt Latein zu schreiben und elegische Verse zu machen. Sie waren starke Disputircr, wohlerfahren in dogmatischen Streitigkeiten, voll eifrigem Zorn gegen Schwcnkfcldiancr, Theophrastianer, Rosenkreuzer und Wcigeliancr, hart¬ näckig, rechthaberisch, und ihre Lehre war stärker im Haß gegen die Ketzer, als in Liebe gegen ihre Mitmenschen. Ihr Einfluß aus das Gewissen der Laien hatte sie hochmüthig und herrschsüchtig gemacht, und die Begabteren unter ihnen kümmerten sich mehr um Politik als für ihre Tugend gut war. Wenn man einen Stand verantwortlich machen darf, für UnVollkommenheiten der Zeitbildung, welche er nicht geschaffen hat, sondern nur repräsentirt. so hatte die lutherische Geistlichkeit eine schwere und verhängnißvolle Schuld an der Verödung des Gemüthes, der unpraktischen Kraftlosigkeit, dem trockenen, langweiligen Formalismus, welche damals in deutschem Leben sehr oft zu Tage kam. So waren die Geistlichen als Stand weder bequem noch besonders liebens¬ wert!), und selbst ihre Moralität war engherzig und inhuman. Aber all dies Unrecht führten sie in den Zeiten der Armuth, der Trübsal und Verfolgung, lind unter ihnen am meisten die armen Dorfpfarrer. Sie waren den größten Gefahren ausgesetzt, den kaiserlichen Soldaten am meisten verhaßt, durch ihr Amt gezwun¬ gen sich dem Feinde bemerkbar zu machen, die Rohheiten, welche sie, ihre Frauen und Töchter zu erdulden hatten, trafen tödtlich ihr Ansehen in der eigenen Ge¬ meinde. Ihr Leben wurde durch die Beiträge ihrer Beichtkinder erhalten, sie waren nicht geübt und wenig geeignet, sich durch körperliche Arbeit die Tage zu fristen; unter jeder Verringerung des Wohlstandes, der Sittlichkeit, der Menschenzahl

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/21
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/21>, abgerufen am 01.11.2024.