Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.Weltliche Musik im alten Leipzig Zusammen sind beide Lieder ein Beispiel dafür, wie die Melodie auch eines Das änderte sich seit dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts. Alle seit¬ Weltliche Musik im alten Leipzig Zusammen sind beide Lieder ein Beispiel dafür, wie die Melodie auch eines Das änderte sich seit dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts. Alle seit¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0468" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294885"/> <fw type="header" place="top"> Weltliche Musik im alten Leipzig</fw><lb/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341879_294416/figures/grenzboten_341879_294416_294885_002.jpg"/><lb/> <p xml:id="ID_2046" prev="#ID_2045"> Zusammen sind beide Lieder ein Beispiel dafür, wie die Melodie auch eines<lb/> epischen Liedes bald mehr in volkstümlich durakkordischer Melodiebewegung<lb/> (Frau von Weißenburg), bald mehr in langsam auf- und abziehenden Melodien¬<lb/> gang gehalten sein konnte (Tannhäuser, doch bricht auch bei diesem in der Schlu߬<lb/> zeile, wenn man ihrer Überlieferung trauen darf, das Volkstümliche durch); wie<lb/> teilweise noch das alte rhythmische Prinzip der Maßgeblichkeit des Textes herrschte<lb/> (die ersten Zeilen des Tannhäuser), teilweise der Tripeltakt mit seiner speziell<lb/> musikalischen Mensur eingezogen war (Frau von Weißenburg). Das historische<lb/> Volkslied der deutschen Kaiserzeit unterschied sich mnsikgeschichtlich zunächst nicht<lb/> von dem Liebeslied.</p><lb/> <p xml:id="ID_2047"> Das änderte sich seit dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts. Alle seit¬<lb/> dem mit Leipzig in Beziehung zu bringenden historischen Lieder sind entweder<lb/> ohne Melodie oder nur noch mit einer anderswoher entlehnten Melodie über¬<lb/> liefert. So das meißnische Spottlied auf König Adolfs Hofgesinde von 1293<lb/> oder die Lieder von den Sachsen und den Märkern und von Kunz von Kaufungen<lb/> aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, und vollends die Lieder des sechzehnten<lb/> Jahrhunderts, von denen als jedenfalls in Leipzig gesungne, zum Teil hier gedruckte<lb/> Proben genannt seien: Ein neu Lied von Herzog Jörgen von Sachsen, wie er<lb/> den Thau gewunnen hat in Friesland. In dem bon: Von erst so woll wir<lb/> loben — und vier lange Zeitgedichte ans die Belagerung Leipzigs im Jahre<lb/> 1547, eins von 61 und ein andres von 42 Strophen, beide im Ton „Es geht<lb/> ein frischer Sonuner daher," der beliebtesten Landsknechtsmelodie des sechzehnten<lb/> Jahrhunderts, ein drittes im Ton „Sie sein geschickt zu Sturm und Streit"<lb/> und das vierte von 23 Strophen im Ton „Wer da stürmen und streiten will."<lb/> Was unter diesen Liedern von Kriegshändeln berichtet, wird im wesentlichen<lb/> auch in Soldatenkreisen, unter den Landsknechten entstanden sein; sie hatten den<lb/> festen Brauch, allweg von ihren Schlachten ein Lied zu machen, wie Aventin<lb/> erzählt. So gut wie fester Brauch scheint es dabei aber auch gewesen zu sein,<lb/> das Lied auf eine bekannte Melodie einzurichten und nach ihr zu singen. Es<lb/> herrscht meist ein handwerksmäßiger, nüchterner, stellenweise witziger Ton in<lb/> dem poetischen Vortrag dieser Lieder; wo soll da musikalischer Erfindertrieb her¬<lb/> gekommen sein? Bauer» haben sie nicht gemacht; es waren kleine Leute aus<lb/> Städten, etwa Handwerksgesellen, in denen es eines Tages gezuckt hatte, die<lb/> Elle mit der Hellebarde zu vertauschen, und die in den Handwerksstuben genug<lb/> von der Meistersingern aufgelesen hatten, daß sie als poetische Kriegs- und<lb/> Feldchronisten ihren Mann stellen konnten. So einer oder ein diesen Kreisen an¬<lb/> gehörender Einwohner Leipzigs — er nennt Herzog Moritz seinen Herrn —<lb/> war es wohl auch, der in der vorletzten Strophe des einen der Leipziger Be¬<lb/> lagerungslieder von sich sagt:</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0468]
Weltliche Musik im alten Leipzig
[Abbildung]
Zusammen sind beide Lieder ein Beispiel dafür, wie die Melodie auch eines
epischen Liedes bald mehr in volkstümlich durakkordischer Melodiebewegung
(Frau von Weißenburg), bald mehr in langsam auf- und abziehenden Melodien¬
gang gehalten sein konnte (Tannhäuser, doch bricht auch bei diesem in der Schlu߬
zeile, wenn man ihrer Überlieferung trauen darf, das Volkstümliche durch); wie
teilweise noch das alte rhythmische Prinzip der Maßgeblichkeit des Textes herrschte
(die ersten Zeilen des Tannhäuser), teilweise der Tripeltakt mit seiner speziell
musikalischen Mensur eingezogen war (Frau von Weißenburg). Das historische
Volkslied der deutschen Kaiserzeit unterschied sich mnsikgeschichtlich zunächst nicht
von dem Liebeslied.
Das änderte sich seit dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts. Alle seit¬
dem mit Leipzig in Beziehung zu bringenden historischen Lieder sind entweder
ohne Melodie oder nur noch mit einer anderswoher entlehnten Melodie über¬
liefert. So das meißnische Spottlied auf König Adolfs Hofgesinde von 1293
oder die Lieder von den Sachsen und den Märkern und von Kunz von Kaufungen
aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, und vollends die Lieder des sechzehnten
Jahrhunderts, von denen als jedenfalls in Leipzig gesungne, zum Teil hier gedruckte
Proben genannt seien: Ein neu Lied von Herzog Jörgen von Sachsen, wie er
den Thau gewunnen hat in Friesland. In dem bon: Von erst so woll wir
loben — und vier lange Zeitgedichte ans die Belagerung Leipzigs im Jahre
1547, eins von 61 und ein andres von 42 Strophen, beide im Ton „Es geht
ein frischer Sonuner daher," der beliebtesten Landsknechtsmelodie des sechzehnten
Jahrhunderts, ein drittes im Ton „Sie sein geschickt zu Sturm und Streit"
und das vierte von 23 Strophen im Ton „Wer da stürmen und streiten will."
Was unter diesen Liedern von Kriegshändeln berichtet, wird im wesentlichen
auch in Soldatenkreisen, unter den Landsknechten entstanden sein; sie hatten den
festen Brauch, allweg von ihren Schlachten ein Lied zu machen, wie Aventin
erzählt. So gut wie fester Brauch scheint es dabei aber auch gewesen zu sein,
das Lied auf eine bekannte Melodie einzurichten und nach ihr zu singen. Es
herrscht meist ein handwerksmäßiger, nüchterner, stellenweise witziger Ton in
dem poetischen Vortrag dieser Lieder; wo soll da musikalischer Erfindertrieb her¬
gekommen sein? Bauer» haben sie nicht gemacht; es waren kleine Leute aus
Städten, etwa Handwerksgesellen, in denen es eines Tages gezuckt hatte, die
Elle mit der Hellebarde zu vertauschen, und die in den Handwerksstuben genug
von der Meistersingern aufgelesen hatten, daß sie als poetische Kriegs- und
Feldchronisten ihren Mann stellen konnten. So einer oder ein diesen Kreisen an¬
gehörender Einwohner Leipzigs — er nennt Herzog Moritz seinen Herrn —
war es wohl auch, der in der vorletzten Strophe des einen der Leipziger Be¬
lagerungslieder von sich sagt:
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