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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Geffentlicher Geist

im Hintergründe eine Anzahl handfester Leute die widerstrebenden Gäste, eben
den Durchschnittsdeutschen, an die Sitze zerren. Wir hören sein Entschuldigungs¬
geschrei: Er müsse nach Haus, seine Frau warte auf ihn. Er sitze lieber am
eigenen Tische. Er habe sich den Magen verdorben. Er sei nicht standes¬
gemäß angezogen. Er habe eine Scheu vor dem Offiziellen. Man ruft ihm
mit Entsetzen zu, dies sei ja nichts Offizielles und Geheimes, sondern das
Gegenteil davon, das Öffentliche, der freie Volksplatz, die lichtbeschienenc,
unbefangene derbe breite und helle Volksgelegenheit, das einzige, wobei man
wirklich "unter sich" sei! Er stiert den Sprecher an wie wild; er fragt wütend,
wer von beiden irrsinnig sei. Er kenne nur zweierlei, das Private und das
Offizielle, und beides sei geheim. Er wisse, daß jetzt auch der Privatmann
zum Offiziellen gehören solle, also beim Geheimen dabei sein, und er habe auch
nichts dagegen, im Gegenteil, er müsse es sich nur noch überlegen. Von etwas
Öffentlichen habe er noch nie gehört, außer in Redensarten.

Denn der Deutsche war, wie eben gesagt, nach Einführung aller jener
Formen des Öffentlichen wieder nach Hause gegangen und geworden was er
immer gewesen war, Privatmann in leidlichen Wohlfahrtsverhältnissen unter
Obrigkeit, Pastor, Patronatsherren, Sachwaltern, mehr oder weniger erleuchteten
Beamten, Negimentsständen, Kabinetten, Landesvätern, die die Staatsgeschäfte
besorgten. Geändert hatte sich, daß nicht mehr alle oben genannte Obrigkeit ihm er¬
nannt wurde, denn teilweise ernannte er sie sich selber und ging nach der Er¬
nennung erleichtert nach Hause. Geändert hatten sich die Namen. Eine Anzahl
der aus seinem neuen Rechte ernannten Geschäftsführer von Beruf hießen nun
Abgeordnete, eine gewisse Art von uneingebundenem Buche, das der Deutsche
las, hieß nun Zeitung. Sie wurde von einer neuen Kategorie von Geheim-
beruflern hergestellt, die man Journalisten oder Pressemänner nannte, und
die anonym blieben, wie ein Verwaltungsbüro anonym bleibt: Unterschrift
"Unleserlich". Jeder hatte bei seinem Fach zu bleiben, und die Fächer waren
geschlossen. Jeder hatte sein Fach gegen den Nichtfachmann, seine Zunft gegen
den nichtzünftigen zu verteidigen, wie solche Nationalheiligtümer des Privaten
nur in Deutschland verteidigt werden können. Wenn die Welt, um mit Sieben¬
meilenstiefeln in die Geschichte marschieren zu können, neue Füße bekommen
hatte, so brauchte man zwar neue Leisten und neue Schuster. Aber der neue
Schuster hatte beim neuen Leisten zu bleiben, wie der alte beim alten. Und
die rechte Hand hatte nicht zu wissen, was die-linke tat. Und "was deines
Amts nicht ist. da lasse deinen Vorwitz". Daß Staatsgeschäfte öffentliche An¬
gelegenheiten sind, war vergessen. Es war auch äußerst unbequem, diesen
Gedanken durchzudenken, denn er stimmte unruhig und tätig. Und man hatte
ohnedies soviel zu tun, daß man seine Ruhe wollte.

So hat sich der Vordergrund des deutschen Lebens durch Jahre und Jahr-
Zehnte mehr und mehr mit Attrappen des Öffentlichen angefüllt, während das
eigentliche Dasein des Durchschnittsdeutschen nicht nur privat und geheim blieb,


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Geffentlicher Geist

im Hintergründe eine Anzahl handfester Leute die widerstrebenden Gäste, eben
den Durchschnittsdeutschen, an die Sitze zerren. Wir hören sein Entschuldigungs¬
geschrei: Er müsse nach Haus, seine Frau warte auf ihn. Er sitze lieber am
eigenen Tische. Er habe sich den Magen verdorben. Er sei nicht standes¬
gemäß angezogen. Er habe eine Scheu vor dem Offiziellen. Man ruft ihm
mit Entsetzen zu, dies sei ja nichts Offizielles und Geheimes, sondern das
Gegenteil davon, das Öffentliche, der freie Volksplatz, die lichtbeschienenc,
unbefangene derbe breite und helle Volksgelegenheit, das einzige, wobei man
wirklich „unter sich" sei! Er stiert den Sprecher an wie wild; er fragt wütend,
wer von beiden irrsinnig sei. Er kenne nur zweierlei, das Private und das
Offizielle, und beides sei geheim. Er wisse, daß jetzt auch der Privatmann
zum Offiziellen gehören solle, also beim Geheimen dabei sein, und er habe auch
nichts dagegen, im Gegenteil, er müsse es sich nur noch überlegen. Von etwas
Öffentlichen habe er noch nie gehört, außer in Redensarten.

Denn der Deutsche war, wie eben gesagt, nach Einführung aller jener
Formen des Öffentlichen wieder nach Hause gegangen und geworden was er
immer gewesen war, Privatmann in leidlichen Wohlfahrtsverhältnissen unter
Obrigkeit, Pastor, Patronatsherren, Sachwaltern, mehr oder weniger erleuchteten
Beamten, Negimentsständen, Kabinetten, Landesvätern, die die Staatsgeschäfte
besorgten. Geändert hatte sich, daß nicht mehr alle oben genannte Obrigkeit ihm er¬
nannt wurde, denn teilweise ernannte er sie sich selber und ging nach der Er¬
nennung erleichtert nach Hause. Geändert hatten sich die Namen. Eine Anzahl
der aus seinem neuen Rechte ernannten Geschäftsführer von Beruf hießen nun
Abgeordnete, eine gewisse Art von uneingebundenem Buche, das der Deutsche
las, hieß nun Zeitung. Sie wurde von einer neuen Kategorie von Geheim-
beruflern hergestellt, die man Journalisten oder Pressemänner nannte, und
die anonym blieben, wie ein Verwaltungsbüro anonym bleibt: Unterschrift
„Unleserlich". Jeder hatte bei seinem Fach zu bleiben, und die Fächer waren
geschlossen. Jeder hatte sein Fach gegen den Nichtfachmann, seine Zunft gegen
den nichtzünftigen zu verteidigen, wie solche Nationalheiligtümer des Privaten
nur in Deutschland verteidigt werden können. Wenn die Welt, um mit Sieben¬
meilenstiefeln in die Geschichte marschieren zu können, neue Füße bekommen
hatte, so brauchte man zwar neue Leisten und neue Schuster. Aber der neue
Schuster hatte beim neuen Leisten zu bleiben, wie der alte beim alten. Und
die rechte Hand hatte nicht zu wissen, was die-linke tat. Und „was deines
Amts nicht ist. da lasse deinen Vorwitz". Daß Staatsgeschäfte öffentliche An¬
gelegenheiten sind, war vergessen. Es war auch äußerst unbequem, diesen
Gedanken durchzudenken, denn er stimmte unruhig und tätig. Und man hatte
ohnedies soviel zu tun, daß man seine Ruhe wollte.

So hat sich der Vordergrund des deutschen Lebens durch Jahre und Jahr-
Zehnte mehr und mehr mit Attrappen des Öffentlichen angefüllt, während das
eigentliche Dasein des Durchschnittsdeutschen nicht nur privat und geheim blieb,


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[0399] Geffentlicher Geist im Hintergründe eine Anzahl handfester Leute die widerstrebenden Gäste, eben den Durchschnittsdeutschen, an die Sitze zerren. Wir hören sein Entschuldigungs¬ geschrei: Er müsse nach Haus, seine Frau warte auf ihn. Er sitze lieber am eigenen Tische. Er habe sich den Magen verdorben. Er sei nicht standes¬ gemäß angezogen. Er habe eine Scheu vor dem Offiziellen. Man ruft ihm mit Entsetzen zu, dies sei ja nichts Offizielles und Geheimes, sondern das Gegenteil davon, das Öffentliche, der freie Volksplatz, die lichtbeschienenc, unbefangene derbe breite und helle Volksgelegenheit, das einzige, wobei man wirklich „unter sich" sei! Er stiert den Sprecher an wie wild; er fragt wütend, wer von beiden irrsinnig sei. Er kenne nur zweierlei, das Private und das Offizielle, und beides sei geheim. Er wisse, daß jetzt auch der Privatmann zum Offiziellen gehören solle, also beim Geheimen dabei sein, und er habe auch nichts dagegen, im Gegenteil, er müsse es sich nur noch überlegen. Von etwas Öffentlichen habe er noch nie gehört, außer in Redensarten. Denn der Deutsche war, wie eben gesagt, nach Einführung aller jener Formen des Öffentlichen wieder nach Hause gegangen und geworden was er immer gewesen war, Privatmann in leidlichen Wohlfahrtsverhältnissen unter Obrigkeit, Pastor, Patronatsherren, Sachwaltern, mehr oder weniger erleuchteten Beamten, Negimentsständen, Kabinetten, Landesvätern, die die Staatsgeschäfte besorgten. Geändert hatte sich, daß nicht mehr alle oben genannte Obrigkeit ihm er¬ nannt wurde, denn teilweise ernannte er sie sich selber und ging nach der Er¬ nennung erleichtert nach Hause. Geändert hatten sich die Namen. Eine Anzahl der aus seinem neuen Rechte ernannten Geschäftsführer von Beruf hießen nun Abgeordnete, eine gewisse Art von uneingebundenem Buche, das der Deutsche las, hieß nun Zeitung. Sie wurde von einer neuen Kategorie von Geheim- beruflern hergestellt, die man Journalisten oder Pressemänner nannte, und die anonym blieben, wie ein Verwaltungsbüro anonym bleibt: Unterschrift „Unleserlich". Jeder hatte bei seinem Fach zu bleiben, und die Fächer waren geschlossen. Jeder hatte sein Fach gegen den Nichtfachmann, seine Zunft gegen den nichtzünftigen zu verteidigen, wie solche Nationalheiligtümer des Privaten nur in Deutschland verteidigt werden können. Wenn die Welt, um mit Sieben¬ meilenstiefeln in die Geschichte marschieren zu können, neue Füße bekommen hatte, so brauchte man zwar neue Leisten und neue Schuster. Aber der neue Schuster hatte beim neuen Leisten zu bleiben, wie der alte beim alten. Und die rechte Hand hatte nicht zu wissen, was die-linke tat. Und „was deines Amts nicht ist. da lasse deinen Vorwitz". Daß Staatsgeschäfte öffentliche An¬ gelegenheiten sind, war vergessen. Es war auch äußerst unbequem, diesen Gedanken durchzudenken, denn er stimmte unruhig und tätig. Und man hatte ohnedies soviel zu tun, daß man seine Ruhe wollte. So hat sich der Vordergrund des deutschen Lebens durch Jahre und Jahr- Zehnte mehr und mehr mit Attrappen des Öffentlichen angefüllt, während das eigentliche Dasein des Durchschnittsdeutschen nicht nur privat und geheim blieb, 25*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/399>, abgerufen am 15.05.2024.