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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Der hohe Stil der Kunst
unser heutiges Völkerrecht, welches ein müßiger Mann ent-
wirft, der Soldat nicht ließt, und der Stärkste verlacht.
Die mehrsten heutigen Kriegesursachen sind Beleidigungen.
welche insgemein eine einzige Person treffen; oder Forderun-
gen, so eine einzelne Person zu machen berechtiget ist; und
woran Millionen Menschen Theil nehmen müssen, die, wenn
es auch noch so glücklich geht, nicht den geringsten Vortheil
davon haben. In einem solchen Falle hätten unsere Vorfah-
ren beyde Theile eine scharfe Lanze gegen einander brechen
lassen, und dann demjenigen Recht gegeben, welchem Gott
den Sieg verliehen hatte. Nach ihrer Meynung war der
Krieg ein Gottesurtheil oder die höchste Entscheidung zwischen
Partheyen, welche sich keinem Richter unterwerfen wollten.
Urlog war die Entscheidung der Waffen; wie Urtheil die Ent-
scheidung des Richters. Und es dünkte ihnen weit vernünf-
tiger, billiger und christlicher zu seyn, daß einzelne Ritter ein
Gottesurtheil mit dem Schwerdte oder mit dem Speere such-
ten, als daß hunderttausend Menschen von ihrem Schöpfer
bitten, daß er sein Urtheil für denjenigen geben solle, welcher
dem andern Theile die mehrsten erschlagen hat.

Nun läßt sich zwar freylich das alte Recht nicht wieder
einführen, weil keine Macht dazu im Stande ist. Es darf
uns aber dieses nicht abhalten, die Zeiten glücklich zu preisen,
wo das Faustrecht ordentlich verfasset war; wo die Landfrie-
den oder Conföderations solches aufs genaueste handhabeten,
und in einem Krieg nicht mehrere verwickelt werden konnten,
als daran freywillig Theil nehmen wollten; wo die Nation
einem solchen Privatkriege ruhig zusehen; und dem Sieger
Kränze winden konnte, ohne Plünderungen und Gewalttha-
ten zu besorgen.

Unsre Vorfahren glaubten, jedem Menschen komme das
Recht des Krieges zu; und auch noch jezt können wir nicht

an-

Der hohe Stil der Kunſt
unſer heutiges Voͤlkerrecht, welches ein muͤßiger Mann ent-
wirft, der Soldat nicht ließt, und der Staͤrkſte verlacht.
Die mehrſten heutigen Kriegesurſachen ſind Beleidigungen.
welche insgemein eine einzige Perſon treffen; oder Forderun-
gen, ſo eine einzelne Perſon zu machen berechtiget iſt; und
woran Millionen Menſchen Theil nehmen muͤſſen, die, wenn
es auch noch ſo gluͤcklich geht, nicht den geringſten Vortheil
davon haben. In einem ſolchen Falle haͤtten unſere Vorfah-
ren beyde Theile eine ſcharfe Lanze gegen einander brechen
laſſen, und dann demjenigen Recht gegeben, welchem Gott
den Sieg verliehen hatte. Nach ihrer Meynung war der
Krieg ein Gottesurtheil oder die hoͤchſte Entſcheidung zwiſchen
Partheyen, welche ſich keinem Richter unterwerfen wollten.
Urlog war die Entſcheidung der Waffen; wie Urtheil die Ent-
ſcheidung des Richters. Und es duͤnkte ihnen weit vernuͤnf-
tiger, billiger und chriſtlicher zu ſeyn, daß einzelne Ritter ein
Gottesurtheil mit dem Schwerdte oder mit dem Speere ſuch-
ten, als daß hunderttauſend Menſchen von ihrem Schoͤpfer
bitten, daß er ſein Urtheil fuͤr denjenigen geben ſolle, welcher
dem andern Theile die mehrſten erſchlagen hat.

Nun laͤßt ſich zwar freylich das alte Recht nicht wieder
einfuͤhren, weil keine Macht dazu im Stande iſt. Es darf
uns aber dieſes nicht abhalten, die Zeiten gluͤcklich zu preiſen,
wo das Fauſtrecht ordentlich verfaſſet war; wo die Landfrie-
den oder Confoͤderations ſolches aufs genaueſte handhabeten,
und in einem Krieg nicht mehrere verwickelt werden konnten,
als daran freywillig Theil nehmen wollten; wo die Nation
einem ſolchen Privatkriege ruhig zuſehen; und dem Sieger
Kraͤnze winden konnte, ohne Pluͤnderungen und Gewalttha-
ten zu beſorgen.

Unſre Vorfahren glaubten, jedem Menſchen komme das
Recht des Krieges zu; und auch noch jezt koͤnnen wir nicht

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[322/0340] Der hohe Stil der Kunſt unſer heutiges Voͤlkerrecht, welches ein muͤßiger Mann ent- wirft, der Soldat nicht ließt, und der Staͤrkſte verlacht. Die mehrſten heutigen Kriegesurſachen ſind Beleidigungen. welche insgemein eine einzige Perſon treffen; oder Forderun- gen, ſo eine einzelne Perſon zu machen berechtiget iſt; und woran Millionen Menſchen Theil nehmen muͤſſen, die, wenn es auch noch ſo gluͤcklich geht, nicht den geringſten Vortheil davon haben. In einem ſolchen Falle haͤtten unſere Vorfah- ren beyde Theile eine ſcharfe Lanze gegen einander brechen laſſen, und dann demjenigen Recht gegeben, welchem Gott den Sieg verliehen hatte. Nach ihrer Meynung war der Krieg ein Gottesurtheil oder die hoͤchſte Entſcheidung zwiſchen Partheyen, welche ſich keinem Richter unterwerfen wollten. Urlog war die Entſcheidung der Waffen; wie Urtheil die Ent- ſcheidung des Richters. Und es duͤnkte ihnen weit vernuͤnf- tiger, billiger und chriſtlicher zu ſeyn, daß einzelne Ritter ein Gottesurtheil mit dem Schwerdte oder mit dem Speere ſuch- ten, als daß hunderttauſend Menſchen von ihrem Schoͤpfer bitten, daß er ſein Urtheil fuͤr denjenigen geben ſolle, welcher dem andern Theile die mehrſten erſchlagen hat. Nun laͤßt ſich zwar freylich das alte Recht nicht wieder einfuͤhren, weil keine Macht dazu im Stande iſt. Es darf uns aber dieſes nicht abhalten, die Zeiten gluͤcklich zu preiſen, wo das Fauſtrecht ordentlich verfaſſet war; wo die Landfrie- den oder Confoͤderations ſolches aufs genaueſte handhabeten, und in einem Krieg nicht mehrere verwickelt werden konnten, als daran freywillig Theil nehmen wollten; wo die Nation einem ſolchen Privatkriege ruhig zuſehen; und dem Sieger Kraͤnze winden konnte, ohne Pluͤnderungen und Gewalttha- ten zu beſorgen. Unſre Vorfahren glaubten, jedem Menſchen komme das Recht des Krieges zu; und auch noch jezt koͤnnen wir nicht an-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/340>, abgerufen am 26.04.2024.