Morgen! In einem solchen Brautschmuck trat die Erde nie vor ihn. Es gefiel ihm alles, sogar Oe¬ fel, sogar das Oefelsche Prahlen mit Beatens Lie¬ be. Das Schicksal hatte heute -- den Verlust sei¬ ner Liebe ausgenommen -- keine giftige Spitze, kei¬ nen eiternden Splitter, den er nicht gleichgültig in seine von der ganzen Seeligkeit bewohnte und gespannte Brust gelassen hätte. So ersetzt oft die höchste Wärme die höchste Kälte oder Apathie; und unter der Täucherglocke einer heftigen Idee -- sei es eine fixe oder eine leidenschaftliche oder eine wis¬ senschaftliche -- stecken wir beschirmt vor dem gan¬ zen äußern Ozean.
Beaten giengs eben so. Diese sanfte fortvi¬ brierende Freude war ein zweites Herz, das ihre Adern füllte, ihre Nerven beseelte und ihre Wan¬ gen übermahlte. Denn die Liebe steht -- indeß andre Leidenschaften nur wie Erdstöße, wie Blitze an uns fahren -- wie ein stiller durchsichtiger Nach¬ sommertag mit ihrem ganzen Himmel in der See¬ le unverrückt. Sie giebt uns einen Vorschmack von der Seeligkeit des Dichters, dessen Brust ein ewig blühendes, tönendes, schimmerndes Paradies um¬ fängt und der hineinsteigen kann, indeß sein äus¬
Morgen! In einem ſolchen Brautſchmuck trat die Erde nie vor ihn. Es gefiel ihm alles, ſogar Oe¬ fel, ſogar das Oefelſche Prahlen mit Beatens Lie¬ be. Das Schickſal hatte heute — den Verluſt ſei¬ ner Liebe ausgenommen — keine giftige Spitze, kei¬ nen eiternden Splitter, den er nicht gleichguͤltig in ſeine von der ganzen Seeligkeit bewohnte und geſpannte Bruſt gelaſſen haͤtte. So erſetzt oft die hoͤchſte Waͤrme die hoͤchſte Kaͤlte oder Apathie; und unter der Taͤucherglocke einer heftigen Idee — ſei es eine fixe oder eine leidenſchaftliche oder eine wiſ¬ ſenſchaftliche — ſtecken wir beſchirmt vor dem gan¬ zen aͤußern Ozean.
Beaten giengs eben ſo. Dieſe ſanfte fortvi¬ brierende Freude war ein zweites Herz, das ihre Adern fuͤllte, ihre Nerven beſeelte und ihre Wan¬ gen uͤbermahlte. Denn die Liebe ſteht — indeß andre Leidenſchaften nur wie Erdſtoͤße, wie Blitze an uns fahren — wie ein ſtiller durchſichtiger Nach¬ ſommertag mit ihrem ganzen Himmel in der See¬ le unverruͤckt. Sie giebt uns einen Vorſchmack von der Seeligkeit des Dichters, deſſen Bruſt ein ewig bluͤhendes, toͤnendes, ſchimmerndes Paradies um¬ faͤngt und der hineinſteigen kann, indeß ſein aͤuſ¬
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Morgen! In einem ſolchen Brautſchmuck trat die
Erde nie vor ihn. Es gefiel ihm alles, ſogar Oe¬
fel, ſogar das Oefelſche Prahlen mit Beatens Lie¬
be. Das Schickſal hatte heute — den Verluſt ſei¬
ner Liebe ausgenommen — keine giftige Spitze, kei¬
nen eiternden Splitter, den er nicht gleichguͤltig
in ſeine von der ganzen Seeligkeit bewohnte und
geſpannte Bruſt gelaſſen haͤtte. So erſetzt oft die
hoͤchſte Waͤrme die hoͤchſte Kaͤlte oder Apathie; und
unter der Taͤucherglocke einer heftigen Idee — ſei
es eine fixe oder eine leidenſchaftliche oder eine wiſ¬
ſenſchaftliche — ſtecken wir beſchirmt vor dem gan¬
zen aͤußern Ozean.
Beaten giengs eben ſo. Dieſe ſanfte fortvi¬
brierende Freude war ein zweites Herz, das ihre
Adern fuͤllte, ihre Nerven beſeelte und ihre Wan¬
gen uͤbermahlte. Denn die Liebe ſteht — indeß
andre Leidenſchaften nur wie Erdſtoͤße, wie Blitze
an uns fahren — wie ein ſtiller durchſichtiger Nach¬
ſommertag mit ihrem ganzen Himmel in der See¬
le unverruͤckt. Sie giebt uns einen Vorſchmack von
der Seeligkeit des Dichters, deſſen Bruſt ein ewig
bluͤhendes, toͤnendes, ſchimmerndes Paradies um¬
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/161>, abgerufen am 01.05.2024.
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