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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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jedes legte die ihm gezeichnete Seite vor sich
zu und lehrnte an der Lezgen die ihm vor
heut aufgegeben war.

Die Räder aber giengen wie vorhin, wann
die Kinder schon ihre Augen völlig auf den
Bücheren hatten.

Der Lieutenant konnte nicht genug sehen,
und bath sie, sie möchte ihnen doch alles zeigen,
was sie mit den Kinderen mache, und was
sie sie lehrne.

Sie wollte sich zwar entschuldigen, und
sagte, es sey ja nichts, als was die Herren
tausendmal besser wissen.

Aber der Junker sagte auch, sie soll es thun:
da hieß sie im Augenblik die Kinder ihre Bü-
cher zuthun und lehrnte mit ihnen auswendig.

-- Dießmal der Abschnitt vom Lied:
"Wie schön, wie herrlich strahlet sie,
"Die Sonne dort: wie sanft! und wie
"Erquikt, erfreut ihr milder Glanz
"Das Aug -- die Stirn, die Seele ganz!

Der 3te Abschnitt, den sie jezt lehrnten heißt:

"Versunken ist sie; so versinkt
"Wenn Er der Herr der Sonne winkt,
"Des Menschen Herrlichkeit und Pracht
"Und aller Glanz wird Staub und Nacht.

Sie sagte eine Zeile nach der anderen von
diesem Abschnitt laut und langsam vor, und
die Kinder sprachen es ihr eben so langsam
und sehr deutlich nach; das wiederholte sie so

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jedes legte die ihm gezeichnete Seite vor ſich
zu und lehrnte an der Lezgen die ihm vor
heut aufgegeben war.

Die Raͤder aber giengen wie vorhin, wann
die Kinder ſchon ihre Augen voͤllig auf den
Buͤcheren hatten.

Der Lieutenant konnte nicht genug ſehen,
und bath ſie, ſie moͤchte ihnen doch alles zeigen,
was ſie mit den Kinderen mache, und was
ſie ſie lehrne.

Sie wollte ſich zwar entſchuldigen, und
ſagte, es ſey ja nichts, als was die Herren
tauſendmal beſſer wiſſen.

Aber der Junker ſagte auch, ſie ſoll es thun:
da hieß ſie im Augenblik die Kinder ihre Buͤ-
cher zuthun und lehrnte mit ihnen auswendig.

— Dießmal der Abſchnitt vom Lied:
„Wie ſchoͤn, wie herrlich ſtrahlet ſie,
„Die Sonne dort: wie ſanft! und wie
„Erquikt, erfreut ihr milder Glanz
„Das Aug — die Stirn, die Seele ganz!

Der 3te Abſchnitt, den ſie jezt lehrnten heißt:

„Verſunken iſt ſie; ſo verſinkt
„Wenn Er der Herr der Sonne winkt,
„Des Menſchen Herrlichkeit und Pracht
„Und aller Glanz wird Staub und Nacht.

Sie ſagte eine Zeile nach der anderen von
dieſem Abſchnitt laut und langſam vor, und
die Kinder ſprachen es ihr eben ſo langſam
und ſehr deutlich nach; das wiederholte ſie ſo

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[87/0109] jedes legte die ihm gezeichnete Seite vor ſich zu und lehrnte an der Lezgen die ihm vor heut aufgegeben war. Die Raͤder aber giengen wie vorhin, wann die Kinder ſchon ihre Augen voͤllig auf den Buͤcheren hatten. Der Lieutenant konnte nicht genug ſehen, und bath ſie, ſie moͤchte ihnen doch alles zeigen, was ſie mit den Kinderen mache, und was ſie ſie lehrne. Sie wollte ſich zwar entſchuldigen, und ſagte, es ſey ja nichts, als was die Herren tauſendmal beſſer wiſſen. Aber der Junker ſagte auch, ſie ſoll es thun: da hieß ſie im Augenblik die Kinder ihre Buͤ- cher zuthun und lehrnte mit ihnen auswendig. — Dießmal der Abſchnitt vom Lied: „Wie ſchoͤn, wie herrlich ſtrahlet ſie, „Die Sonne dort: wie ſanft! und wie „Erquikt, erfreut ihr milder Glanz „Das Aug — die Stirn, die Seele ganz! Der 3te Abſchnitt, den ſie jezt lehrnten heißt: „Verſunken iſt ſie; ſo verſinkt „Wenn Er der Herr der Sonne winkt, „Des Menſchen Herrlichkeit und Pracht „Und aller Glanz wird Staub und Nacht. Sie ſagte eine Zeile nach der anderen von dieſem Abſchnitt laut und langſam vor, und die Kinder ſprachen es ihr eben ſo langſam und ſehr deutlich nach; das wiederholte ſie ſo F 4

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/109>, abgerufen am 30.04.2024.