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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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der Vorstellungskraft etc.

Die Verähnlichung, und das Nachmachen über-
haupt beruhet also auf Einem von diesen Dreyen Grün-
den, oder, wie gemeiniglich, auf mehrern von ihnen zu-
gleich. Es ist entweder eine ähnliche Empfindung,
die durch eine andere entstehet; oder es ist eine Repre-
duktion
der ähnlichen Jdee, die zu einer vollen Aktion
übergehet; oder es ist eine Fiktion, wo aus schon vor-
handenen Materialien eine neue Vorstellung von einer
Handlung, nach einem vorgelegten Jdeal gebildet wird.

Die erstere Art der Nachmachung, welche eine Em-
pfindung ist, gehört zu den leidentlichen Bildungen,
die die geschmeidige Kraft der menschlichen Seele an-
nimmt. Sie wird nachgestimmet. Diese Art er-
fodert, wenn sie allein vorhanden ist, weder eine Erwe-
ckung schon angereiheter Jdeen, noch eine neue Zusam-
mensetzung von ihnen, sondern es entstehet durch den
physischen Einfluß einer fremden Aktion eine neue Em-
pfindung, woraus nachher erst die Vorstellung von der
Aktion gemacht werden kann. Man sieht es gleich, daß
dieß auf dieselbige Art geschehe, wie unsere Mitgefühle
mit andern entspringen. Denn eben dadurch, daß wir
in ein ähnliches Empfindniß mit andern gesetzet werden,
wird auch unsere Kraft zu ähnlichen Handlungen erwecket,
Hierüber will ich noch etwas hinzu setzen, aber mich doch
erinnern, daß ich noch immer auf einem Nebenwege
fortgehe.

4.

Wir haben Vorstellungen von unsern Empfind-
nissen
und Gemüthsbewegungen, die uns in Thä-
tigkeit setzen, auf eine ähnliche Art, wie wir sie von die-
sen letzten selbst haben. *) Wenn also die Frage ist,
wie wir durch den Anblick von der Betrübniß eines andern

in
*) Erster Versuch VII.
U u 3
der Vorſtellungskraft ⁊c.

Die Veraͤhnlichung, und das Nachmachen uͤber-
haupt beruhet alſo auf Einem von dieſen Dreyen Gruͤn-
den, oder, wie gemeiniglich, auf mehrern von ihnen zu-
gleich. Es iſt entweder eine aͤhnliche Empfindung,
die durch eine andere entſtehet; oder es iſt eine Repre-
duktion
der aͤhnlichen Jdee, die zu einer vollen Aktion
uͤbergehet; oder es iſt eine Fiktion, wo aus ſchon vor-
handenen Materialien eine neue Vorſtellung von einer
Handlung, nach einem vorgelegten Jdeal gebildet wird.

Die erſtere Art der Nachmachung, welche eine Em-
pfindung iſt, gehoͤrt zu den leidentlichen Bildungen,
die die geſchmeidige Kraft der menſchlichen Seele an-
nimmt. Sie wird nachgeſtimmet. Dieſe Art er-
fodert, wenn ſie allein vorhanden iſt, weder eine Erwe-
ckung ſchon angereiheter Jdeen, noch eine neue Zuſam-
menſetzung von ihnen, ſondern es entſtehet durch den
phyſiſchen Einfluß einer fremden Aktion eine neue Em-
pfindung, woraus nachher erſt die Vorſtellung von der
Aktion gemacht werden kann. Man ſieht es gleich, daß
dieß auf dieſelbige Art geſchehe, wie unſere Mitgefuͤhle
mit andern entſpringen. Denn eben dadurch, daß wir
in ein aͤhnliches Empfindniß mit andern geſetzet werden,
wird auch unſere Kraft zu aͤhnlichen Handlungen erwecket,
Hieruͤber will ich noch etwas hinzu ſetzen, aber mich doch
erinnern, daß ich noch immer auf einem Nebenwege
fortgehe.

4.

Wir haben Vorſtellungen von unſern Empfind-
niſſen
und Gemuͤthsbewegungen, die uns in Thaͤ-
tigkeit ſetzen, auf eine aͤhnliche Art, wie wir ſie von die-
ſen letzten ſelbſt haben. *) Wenn alſo die Frage iſt,
wie wir durch den Anblick von der Betruͤbniß eines andern

in
*) Erſter Verſuch VII.
U u 3
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[677/0737] der Vorſtellungskraft ⁊c. Die Veraͤhnlichung, und das Nachmachen uͤber- haupt beruhet alſo auf Einem von dieſen Dreyen Gruͤn- den, oder, wie gemeiniglich, auf mehrern von ihnen zu- gleich. Es iſt entweder eine aͤhnliche Empfindung, die durch eine andere entſtehet; oder es iſt eine Repre- duktion der aͤhnlichen Jdee, die zu einer vollen Aktion uͤbergehet; oder es iſt eine Fiktion, wo aus ſchon vor- handenen Materialien eine neue Vorſtellung von einer Handlung, nach einem vorgelegten Jdeal gebildet wird. Die erſtere Art der Nachmachung, welche eine Em- pfindung iſt, gehoͤrt zu den leidentlichen Bildungen, die die geſchmeidige Kraft der menſchlichen Seele an- nimmt. Sie wird nachgeſtimmet. Dieſe Art er- fodert, wenn ſie allein vorhanden iſt, weder eine Erwe- ckung ſchon angereiheter Jdeen, noch eine neue Zuſam- menſetzung von ihnen, ſondern es entſtehet durch den phyſiſchen Einfluß einer fremden Aktion eine neue Em- pfindung, woraus nachher erſt die Vorſtellung von der Aktion gemacht werden kann. Man ſieht es gleich, daß dieß auf dieſelbige Art geſchehe, wie unſere Mitgefuͤhle mit andern entſpringen. Denn eben dadurch, daß wir in ein aͤhnliches Empfindniß mit andern geſetzet werden, wird auch unſere Kraft zu aͤhnlichen Handlungen erwecket, Hieruͤber will ich noch etwas hinzu ſetzen, aber mich doch erinnern, daß ich noch immer auf einem Nebenwege fortgehe. 4. Wir haben Vorſtellungen von unſern Empfind- niſſen und Gemuͤthsbewegungen, die uns in Thaͤ- tigkeit ſetzen, auf eine aͤhnliche Art, wie wir ſie von die- ſen letzten ſelbſt haben. *) Wenn alſo die Frage iſt, wie wir durch den Anblick von der Betruͤbniß eines andern in *) Erſter Verſuch VII. U u 3

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 677. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/737>, abgerufen am 30.04.2024.