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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 4. Der Befreiungskrieg.
er die schlesische Armee so ganz zu durchdringen mit der feurigen That-
kraft seines heldenhaften Geistes, daß dies kleinste Heer der Coalition bald
der Schwerpunkt ihrer Streitkräfte wurde; denn das stand ihm außer
Zweifel, daß ein Muthiger Muthige schaffen könne. Bald hatte sich zwi-
schen ihm und Blücher jenes menschlich schöne Verhältniß unverbrüchlichen
Vertrauens gebildet, das für Deutschlands Geschicke ebenso segensreich
werden sollte wie vormals die Freundschaft von Luther und Melanchthon,
von Schiller und Goethe. Willig ging der Alte auf die Ideen seines
Generalquartiermeisters ein und fand sich darin zurecht als wären sie sein
eignes Werk. Der Jüngere aber wahrte mit feinem Takte das Ansehen
des Commandirenden, befahl immer nur in Blüchers Namen, hielt sich
so bescheiden zurück, daß seine Frau selber lange nichts von der eigent-
lichen Wirksamkeit ihres Gatten erfuhr, und ertrug es ohne Murren, daß
er der Mannschaft fast ebenso unbekannt blieb wie einst P. v. Westphalen
den Soldaten Ferdinands von Braunschweig. Beim Ausbruch des Krieges
hatte er nur die Karten von Westdeutschland und Frankreich mit ins Feld-
lager genommen -- so bestimmt rechnete er auf einen raschen Siegeszug;
nun warf ihn das Geschick wieder in diese Ostmark Deutschlands, wo er
einst seine besten Jahre im Einerlei subalternen Dienstes verbracht hatte.
Die Langeweile jener öden Zeit kam ihm jetzt zu gute; er kannte Weg
und Steg im Lande, er wußte, daß die heimtückischen kleinen Bäche des
Riesengebirges bei Unwetter rasch zu reißenden Strömen werden, und
baute darauf seinen Plan. Nichts schien ihm erbärmlicher als das Aus-
ruhen auf den errungenen Lorbeeren; kaum war Schlesien befreit, so
faßte er alsbald das Ziel der Vereinigung der drei Armeen ins Auge.
Nur so konnte eine große Entscheidung erzwungen werden, und dieses
letzten Erfolges fühlte sich der Kühne so sicher, daß er schon im September,
zu einer Zeit da die Meisten kaum auf die Eroberung von Dresden zu
hoffen wagten, seinen Offizieren voraussagte, sie sollten noch in diesem
Herbst Trauben am Rheine pflücken. Er nannte Napoleon gern seinen
Lehrer, denn von ihm hatte er gelernt die Künstelei der alten militärischen
Schule zu verachten; erst in der Hauptstadt des Feindes hoffte er die Waffen
niederzulegen. So stand er unter den Heerführern der Verbündeten als der
Pfadfinder des Sieges, wie ihn der Meißel Christian Rauchs dargestellt
hat, mit vorgestrecktem Arm hinweisend auf des Krieges letztes Ziel, der
einzige Mann, der sich der Feldherrngröße Napoleons gewachsen fühlte.
Fortiter, fideliter, feliciter! -- so lautete der hochgemuthe Wahlspruch
seines Wappens.

Die Begeisterung der Jugend und die Gunst der Frauen wendeten
sich der heiteren Kraft und Frische des genialen Mannes von selber zu;
vor den älteren Kameraden mußte er sich erst durch den Erfolg rechtfer-
tigen. Die drei Corpsführer der schlesischen Armee fügten sich ungern
den Weisungen des jungen Generalmajors; immerhin war Sackens

I. 4. Der Befreiungskrieg.
er die ſchleſiſche Armee ſo ganz zu durchdringen mit der feurigen That-
kraft ſeines heldenhaften Geiſtes, daß dies kleinſte Heer der Coalition bald
der Schwerpunkt ihrer Streitkräfte wurde; denn das ſtand ihm außer
Zweifel, daß ein Muthiger Muthige ſchaffen könne. Bald hatte ſich zwi-
ſchen ihm und Blücher jenes menſchlich ſchöne Verhältniß unverbrüchlichen
Vertrauens gebildet, das für Deutſchlands Geſchicke ebenſo ſegensreich
werden ſollte wie vormals die Freundſchaft von Luther und Melanchthon,
von Schiller und Goethe. Willig ging der Alte auf die Ideen ſeines
Generalquartiermeiſters ein und fand ſich darin zurecht als wären ſie ſein
eignes Werk. Der Jüngere aber wahrte mit feinem Takte das Anſehen
des Commandirenden, befahl immer nur in Blüchers Namen, hielt ſich
ſo beſcheiden zurück, daß ſeine Frau ſelber lange nichts von der eigent-
lichen Wirkſamkeit ihres Gatten erfuhr, und ertrug es ohne Murren, daß
er der Mannſchaft faſt ebenſo unbekannt blieb wie einſt P. v. Weſtphalen
den Soldaten Ferdinands von Braunſchweig. Beim Ausbruch des Krieges
hatte er nur die Karten von Weſtdeutſchland und Frankreich mit ins Feld-
lager genommen — ſo beſtimmt rechnete er auf einen raſchen Siegeszug;
nun warf ihn das Geſchick wieder in dieſe Oſtmark Deutſchlands, wo er
einſt ſeine beſten Jahre im Einerlei ſubalternen Dienſtes verbracht hatte.
Die Langeweile jener öden Zeit kam ihm jetzt zu gute; er kannte Weg
und Steg im Lande, er wußte, daß die heimtückiſchen kleinen Bäche des
Rieſengebirges bei Unwetter raſch zu reißenden Strömen werden, und
baute darauf ſeinen Plan. Nichts ſchien ihm erbärmlicher als das Aus-
ruhen auf den errungenen Lorbeeren; kaum war Schleſien befreit, ſo
faßte er alsbald das Ziel der Vereinigung der drei Armeen ins Auge.
Nur ſo konnte eine große Entſcheidung erzwungen werden, und dieſes
letzten Erfolges fühlte ſich der Kühne ſo ſicher, daß er ſchon im September,
zu einer Zeit da die Meiſten kaum auf die Eroberung von Dresden zu
hoffen wagten, ſeinen Offizieren vorausſagte, ſie ſollten noch in dieſem
Herbſt Trauben am Rheine pflücken. Er nannte Napoleon gern ſeinen
Lehrer, denn von ihm hatte er gelernt die Künſtelei der alten militäriſchen
Schule zu verachten; erſt in der Hauptſtadt des Feindes hoffte er die Waffen
niederzulegen. So ſtand er unter den Heerführern der Verbündeten als der
Pfadfinder des Sieges, wie ihn der Meißel Chriſtian Rauchs dargeſtellt
hat, mit vorgeſtrecktem Arm hinweiſend auf des Krieges letztes Ziel, der
einzige Mann, der ſich der Feldherrngröße Napoleons gewachſen fühlte.
Fortiter, fideliter, feliciter! — ſo lautete der hochgemuthe Wahlſpruch
ſeines Wappens.

Die Begeiſterung der Jugend und die Gunſt der Frauen wendeten
ſich der heiteren Kraft und Friſche des genialen Mannes von ſelber zu;
vor den älteren Kameraden mußte er ſich erſt durch den Erfolg rechtfer-
tigen. Die drei Corpsführer der ſchleſiſchen Armee fügten ſich ungern
den Weiſungen des jungen Generalmajors; immerhin war Sackens

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[474/0490] I. 4. Der Befreiungskrieg. er die ſchleſiſche Armee ſo ganz zu durchdringen mit der feurigen That- kraft ſeines heldenhaften Geiſtes, daß dies kleinſte Heer der Coalition bald der Schwerpunkt ihrer Streitkräfte wurde; denn das ſtand ihm außer Zweifel, daß ein Muthiger Muthige ſchaffen könne. Bald hatte ſich zwi- ſchen ihm und Blücher jenes menſchlich ſchöne Verhältniß unverbrüchlichen Vertrauens gebildet, das für Deutſchlands Geſchicke ebenſo ſegensreich werden ſollte wie vormals die Freundſchaft von Luther und Melanchthon, von Schiller und Goethe. Willig ging der Alte auf die Ideen ſeines Generalquartiermeiſters ein und fand ſich darin zurecht als wären ſie ſein eignes Werk. Der Jüngere aber wahrte mit feinem Takte das Anſehen des Commandirenden, befahl immer nur in Blüchers Namen, hielt ſich ſo beſcheiden zurück, daß ſeine Frau ſelber lange nichts von der eigent- lichen Wirkſamkeit ihres Gatten erfuhr, und ertrug es ohne Murren, daß er der Mannſchaft faſt ebenſo unbekannt blieb wie einſt P. v. Weſtphalen den Soldaten Ferdinands von Braunſchweig. Beim Ausbruch des Krieges hatte er nur die Karten von Weſtdeutſchland und Frankreich mit ins Feld- lager genommen — ſo beſtimmt rechnete er auf einen raſchen Siegeszug; nun warf ihn das Geſchick wieder in dieſe Oſtmark Deutſchlands, wo er einſt ſeine beſten Jahre im Einerlei ſubalternen Dienſtes verbracht hatte. Die Langeweile jener öden Zeit kam ihm jetzt zu gute; er kannte Weg und Steg im Lande, er wußte, daß die heimtückiſchen kleinen Bäche des Rieſengebirges bei Unwetter raſch zu reißenden Strömen werden, und baute darauf ſeinen Plan. Nichts ſchien ihm erbärmlicher als das Aus- ruhen auf den errungenen Lorbeeren; kaum war Schleſien befreit, ſo faßte er alsbald das Ziel der Vereinigung der drei Armeen ins Auge. Nur ſo konnte eine große Entſcheidung erzwungen werden, und dieſes letzten Erfolges fühlte ſich der Kühne ſo ſicher, daß er ſchon im September, zu einer Zeit da die Meiſten kaum auf die Eroberung von Dresden zu hoffen wagten, ſeinen Offizieren vorausſagte, ſie ſollten noch in dieſem Herbſt Trauben am Rheine pflücken. Er nannte Napoleon gern ſeinen Lehrer, denn von ihm hatte er gelernt die Künſtelei der alten militäriſchen Schule zu verachten; erſt in der Hauptſtadt des Feindes hoffte er die Waffen niederzulegen. So ſtand er unter den Heerführern der Verbündeten als der Pfadfinder des Sieges, wie ihn der Meißel Chriſtian Rauchs dargeſtellt hat, mit vorgeſtrecktem Arm hinweiſend auf des Krieges letztes Ziel, der einzige Mann, der ſich der Feldherrngröße Napoleons gewachſen fühlte. Fortiter, fideliter, feliciter! — ſo lautete der hochgemuthe Wahlſpruch ſeines Wappens. Die Begeiſterung der Jugend und die Gunſt der Frauen wendeten ſich der heiteren Kraft und Friſche des genialen Mannes von ſelber zu; vor den älteren Kameraden mußte er ſich erſt durch den Erfolg rechtfer- tigen. Die drei Corpsführer der ſchleſiſchen Armee fügten ſich ungern den Weiſungen des jungen Generalmajors; immerhin war Sackens

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/490>, abgerufen am 30.04.2024.