Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

und habe Sie gar nicht mißverstanden. Ich werd' Ihnen
nicht sagen, daß Sie mir glauben sollen, weil mir diesmal
wirklich am guten Willen weniger liegt, als daß Sie über-
zeugt sein sollen, die Gründe dazu, bin ich gewiß, finden
Sie von selbst, wenn Sie mich gelassen erwägen. Was Sie
mir über den Woldemar und über die Wahrheit sagen, wünsch'
ich könnte gedruckt, und von den Menschen verstanden wer-
den; trotz Ihrem eigennützigen Wunsch, sie möchten dumm
bleiben, damit man Briefe schreiben kann. Überhaupt aber
ist Ihr heutiges Billet von allen, die ich von Ihnen gesehen
habe, das erste -- und gefällt mir über die Maßen; alles
was Sie von allgemeinen Wahrheiten drin sagen, ist einzig;
und was Sie mir besonders sagen, prächtig, ganz wahr und
mit einer candeur und Naivetät ausgedrückt -- die ich noch
gar nicht bei Ihnen gefunden habe, obschon Sie oft Wahr-
heiten geschrieben haben -- die mir für die Wahrheit und
Güte derselben bürgt. Wir haben uns heute in die Wahrheit
eingelassen, wenn wir aber bedenken, daß es doch nicht die
Tugend ist, so wird sie uns wie eine Göttin vorkommen, und
in dieser Eil können wir ihr wohl ein bischen die Kour ma-
chen, wenn wir besonders bedenken, daß man durch sie hinter
alle Untugenden kommen kann, und sie entdeckt; was Sie
besonders von ihr geschrieben haben, kann ich nur bejahen,
um einigermaßen etwas Ihnen Würdiges zu thun; welches
ich auch aus Grund meines Herzens, Verstandes und den
Winkeln all meines Lebens thu.

Adieu. R. L.


und habe Sie gar nicht mißverſtanden. Ich werd’ Ihnen
nicht ſagen, daß Sie mir glauben ſollen, weil mir diesmal
wirklich am guten Willen weniger liegt, als daß Sie über-
zeugt ſein ſollen, die Gründe dazu, bin ich gewiß, finden
Sie von ſelbſt, wenn Sie mich gelaſſen erwägen. Was Sie
mir über den Woldemar und über die Wahrheit ſagen, wünſch’
ich könnte gedruckt, und von den Menſchen verſtanden wer-
den; trotz Ihrem eigennützigen Wunſch, ſie möchten dumm
bleiben, damit man Briefe ſchreiben kann. Überhaupt aber
iſt Ihr heutiges Billet von allen, die ich von Ihnen geſehen
habe, das erſte — und gefällt mir über die Maßen; alles
was Sie von allgemeinen Wahrheiten drin ſagen, iſt einzig;
und was Sie mir beſonders ſagen, prächtig, ganz wahr und
mit einer candeur und Naivetät ausgedrückt — die ich noch
gar nicht bei Ihnen gefunden habe, obſchon Sie oft Wahr-
heiten geſchrieben haben — die mir für die Wahrheit und
Güte derſelben bürgt. Wir haben uns heute in die Wahrheit
eingelaſſen, wenn wir aber bedenken, daß es doch nicht die
Tugend iſt, ſo wird ſie uns wie eine Göttin vorkommen, und
in dieſer Eil können wir ihr wohl ein bischen die Kour ma-
chen, wenn wir beſonders bedenken, daß man durch ſie hinter
alle Untugenden kommen kann, und ſie entdeckt; was Sie
beſonders von ihr geſchrieben haben, kann ich nur bejahen,
um einigermaßen etwas Ihnen Würdiges zu thun; welches
ich auch aus Grund meines Herzens, Verſtandes und den
Winkeln all meines Lebens thu.

Adieu. R. L.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0130" n="116"/>
und habe Sie <hi rendition="#g">gar</hi> nicht mißver&#x017F;tanden. Ich werd&#x2019; Ihnen<lb/>
nicht &#x017F;agen, daß Sie mir glauben &#x017F;ollen, weil mir <hi rendition="#g">diesmal</hi><lb/>
wirklich am guten Willen weniger liegt, als daß Sie über-<lb/>
zeugt &#x017F;ein &#x017F;ollen, die Gründe dazu, bin ich gewiß, finden<lb/>
Sie von &#x017F;elb&#x017F;t, wenn Sie mich gela&#x017F;&#x017F;en erwägen. Was Sie<lb/>
mir über den Woldemar und über die Wahrheit &#x017F;agen, wün&#x017F;ch&#x2019;<lb/>
ich könnte gedruckt, und von den Men&#x017F;chen ver&#x017F;tanden wer-<lb/>
den; trotz Ihrem eigennützigen Wun&#x017F;ch, &#x017F;ie möchten dumm<lb/>
bleiben, damit man Briefe &#x017F;chreiben kann. Überhaupt aber<lb/>
i&#x017F;t Ihr heutiges Billet von <hi rendition="#g">allen</hi>, die ich von Ihnen ge&#x017F;ehen<lb/>
habe, das <hi rendition="#g">er&#x017F;te</hi> &#x2014; und gefällt mir über die Maßen; alles<lb/>
was Sie von allgemeinen Wahrheiten drin &#x017F;agen, i&#x017F;t einzig;<lb/>
und was Sie mir be&#x017F;onders &#x017F;agen, prächtig, ganz wahr und<lb/>
mit einer <hi rendition="#aq">candeur</hi> und Naivetät ausgedrückt &#x2014; die ich noch<lb/><hi rendition="#g">gar</hi> nicht bei Ihnen gefunden habe, ob&#x017F;chon Sie oft Wahr-<lb/>
heiten ge&#x017F;chrieben haben &#x2014; die mir für die Wahrheit und<lb/>
Güte der&#x017F;elben bürgt. Wir haben uns heute in die Wahrheit<lb/>
eingela&#x017F;&#x017F;en, wenn wir aber bedenken, daß es doch nicht die<lb/>
Tugend i&#x017F;t, &#x017F;o wird &#x017F;ie uns wie eine Göttin vorkommen, und<lb/>
in die&#x017F;er Eil können wir ihr wohl ein bischen die Kour ma-<lb/>
chen, wenn wir be&#x017F;onders bedenken, daß man durch &#x017F;ie hinter<lb/>
alle Untugenden kommen kann, und &#x017F;ie entdeckt; was Sie<lb/>
be&#x017F;onders von ihr ge&#x017F;chrieben haben, kann ich nur bejahen,<lb/>
um einigermaßen etwas Ihnen Würdiges zu thun; welches<lb/>
ich auch aus Grund meines Herzens, Ver&#x017F;tandes und den<lb/>
Winkeln all meines Lebens thu.</p>
          <closer>
            <salute>Adieu. <hi rendition="#et">R. L.</hi></salute>
          </closer>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[116/0130] und habe Sie gar nicht mißverſtanden. Ich werd’ Ihnen nicht ſagen, daß Sie mir glauben ſollen, weil mir diesmal wirklich am guten Willen weniger liegt, als daß Sie über- zeugt ſein ſollen, die Gründe dazu, bin ich gewiß, finden Sie von ſelbſt, wenn Sie mich gelaſſen erwägen. Was Sie mir über den Woldemar und über die Wahrheit ſagen, wünſch’ ich könnte gedruckt, und von den Menſchen verſtanden wer- den; trotz Ihrem eigennützigen Wunſch, ſie möchten dumm bleiben, damit man Briefe ſchreiben kann. Überhaupt aber iſt Ihr heutiges Billet von allen, die ich von Ihnen geſehen habe, das erſte — und gefällt mir über die Maßen; alles was Sie von allgemeinen Wahrheiten drin ſagen, iſt einzig; und was Sie mir beſonders ſagen, prächtig, ganz wahr und mit einer candeur und Naivetät ausgedrückt — die ich noch gar nicht bei Ihnen gefunden habe, obſchon Sie oft Wahr- heiten geſchrieben haben — die mir für die Wahrheit und Güte derſelben bürgt. Wir haben uns heute in die Wahrheit eingelaſſen, wenn wir aber bedenken, daß es doch nicht die Tugend iſt, ſo wird ſie uns wie eine Göttin vorkommen, und in dieſer Eil können wir ihr wohl ein bischen die Kour ma- chen, wenn wir beſonders bedenken, daß man durch ſie hinter alle Untugenden kommen kann, und ſie entdeckt; was Sie beſonders von ihr geſchrieben haben, kann ich nur bejahen, um einigermaßen etwas Ihnen Würdiges zu thun; welches ich auch aus Grund meines Herzens, Verſtandes und den Winkeln all meines Lebens thu. Adieu. R. L.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/130
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/130>, abgerufen am 26.04.2024.