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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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meinem Tisch, und was auf dem Tische liegt, liest man am
Ende doch: wie paßt jetzt jedes Wort, jede Tragödie in der
Tragödie! wie versteh' ich jetzt Welthändel und Dichter erst!
Es giebt großartigere Geistesschwingungen, was einen zu be-
denken zwingt, daß von je die Welt in Gährung stand, und
nicht schlecht hat der Dichter den uns noch wüthenden drei-
ßigjährigen Krieg gegriffen. Es ist die Rede im Grunde von
denselben Dingen; die Leidenschaften, dasselbe Wollen setzt sie
in Gährung; man hört dieselben Namen fast, für Länder und
Familien. Mich macht's etwas gesetzt; dies, oder was stren-
ges Denken fordert. So that mir diesen Winter Graf Kalck-
reuths Buch sehr gut. In allem konnt' ich ihm nicht folgen,
in manchem seiner Meinung nicht sein: doch zwang er mich
zu denken; und schön spricht er über Gesetz, Richter, Urtheil,
Polizei, Duell (hier über wie meines Wissens noch niemand).
Der denkt sich was aus, auf seinem Gute. Ich kann mich jetzt
nicht auf den Namen besinnen. (Siegersdorf.) Ist Ihnen zu
Gesichte gekommen: Wallstein, tragedie en einq actes et en
vers, precedee de quelques reflexions sur le theatre allemand etc.
par Benjamin Constant de Rebeeque?
Ich habe es mir von
Leipzig kommen lassen, weil es mir merkwürdig schien: so find'
ich's auch. Es ist eine in der Litteratur bezeichnete, und nicht
nur da begründete Gränze zwischen Deutschen und Franzosen,
von einem Franzosen deutsch aufgefaßt, und französisch abge-
faßt. Es geht so weit, daß er einigemale mit französischen
Worten in der Vorrede nicht französisch schreibt: und nur
einem Deutschen verständlich ist, wenn der sich's zurück über-
setzt. Er ist von August Wilhelm Schlegel gefüttert, hat es

I. 27

meinem Tiſch, und was auf dem Tiſche liegt, lieſt man am
Ende doch: wie paßt jetzt jedes Wort, jede Tragödie in der
Tragödie! wie verſteh’ ich jetzt Welthändel und Dichter erſt!
Es giebt großartigere Geiſtesſchwingungen, was einen zu be-
denken zwingt, daß von je die Welt in Gährung ſtand, und
nicht ſchlecht hat der Dichter den uns noch wüthenden drei-
ßigjährigen Krieg gegriffen. Es iſt die Rede im Grunde von
denſelben Dingen; die Leidenſchaften, daſſelbe Wollen ſetzt ſie
in Gährung; man hört dieſelben Namen faſt, für Länder und
Familien. Mich macht’s etwas geſetzt; dies, oder was ſtren-
ges Denken fordert. So that mir dieſen Winter Graf Kalck-
reuths Buch ſehr gut. In allem konnt’ ich ihm nicht folgen,
in manchem ſeiner Meinung nicht ſein: doch zwang er mich
zu denken; und ſchön ſpricht er über Geſetz, Richter, Urtheil,
Polizei, Duell (hier über wie meines Wiſſens noch niemand).
Der denkt ſich was aus, auf ſeinem Gute. Ich kann mich jetzt
nicht auf den Namen beſinnen. (Siegersdorf.) Iſt Ihnen zu
Geſichte gekommen: Wallstein, tragédie en einq actes et en
vers, précédée de quelques réflexions sur le théatre allemand etc.
par Benjamin Constant de Rebeeque?
Ich habe es mir von
Leipzig kommen laſſen, weil es mir merkwürdig ſchien: ſo find’
ich’s auch. Es iſt eine in der Litteratur bezeichnete, und nicht
nur da begründete Gränze zwiſchen Deutſchen und Franzoſen,
von einem Franzoſen deutſch aufgefaßt, und franzöſiſch abge-
faßt. Es geht ſo weit, daß er einigemale mit franzöſiſchen
Worten in der Vorrede nicht franzöſiſch ſchreibt: und nur
einem Deutſchen verſtändlich iſt, wenn der ſich’s zurück über-
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[417/0431] meinem Tiſch, und was auf dem Tiſche liegt, lieſt man am Ende doch: wie paßt jetzt jedes Wort, jede Tragödie in der Tragödie! wie verſteh’ ich jetzt Welthändel und Dichter erſt! Es giebt großartigere Geiſtesſchwingungen, was einen zu be- denken zwingt, daß von je die Welt in Gährung ſtand, und nicht ſchlecht hat der Dichter den uns noch wüthenden drei- ßigjährigen Krieg gegriffen. Es iſt die Rede im Grunde von denſelben Dingen; die Leidenſchaften, daſſelbe Wollen ſetzt ſie in Gährung; man hört dieſelben Namen faſt, für Länder und Familien. Mich macht’s etwas geſetzt; dies, oder was ſtren- ges Denken fordert. So that mir dieſen Winter Graf Kalck- reuths Buch ſehr gut. In allem konnt’ ich ihm nicht folgen, in manchem ſeiner Meinung nicht ſein: doch zwang er mich zu denken; und ſchön ſpricht er über Geſetz, Richter, Urtheil, Polizei, Duell (hier über wie meines Wiſſens noch niemand). Der denkt ſich was aus, auf ſeinem Gute. Ich kann mich jetzt nicht auf den Namen beſinnen. (Siegersdorf.) Iſt Ihnen zu Geſichte gekommen: Wallstein, tragédie en einq actes et en vers, précédée de quelques réflexions sur le théatre allemand etc. par Benjamin Constant de Rebeeque? Ich habe es mir von Leipzig kommen laſſen, weil es mir merkwürdig ſchien: ſo find’ ich’s auch. Es iſt eine in der Litteratur bezeichnete, und nicht nur da begründete Gränze zwiſchen Deutſchen und Franzoſen, von einem Franzoſen deutſch aufgefaßt, und franzöſiſch abge- faßt. Es geht ſo weit, daß er einigemale mit franzöſiſchen Worten in der Vorrede nicht franzöſiſch ſchreibt: und nur einem Deutſchen verſtändlich iſt, wenn der ſich’s zurück über- ſetzt. Er iſt von Auguſt Wilhelm Schlegel gefüttert, hat es I. 27

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/431>, abgerufen am 30.04.2024.