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Buri, Maximilian von: Ueber Causalität und deren Verantwortung. Leipzig, 1873.

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zu der Form des fortgesetzten Verbrechens zu nehmen brauche.
Obgleich nun jetzt diese Befugniß von dem deutschen Straf-
gesetzbuch gestattet worden ist, so wird doch, neuerdings wieder
von Stemann Gerichtssaal 1872 S. 23 flg. behauptet, daß
dennoch das fortgesetzte Verbrechen noch fernerhin seine
Existenz beibehalten habe. Erfüllt aber jeder Act des fort-
gesetzten Verbrechens den gesetzlichen vollen subjectiven und
objectiven Thatbestand des betreffenden Verbrechens, wie kann
da der Thäter berechtigt sein, sich aus mehreren solcher selbst-
ständiger Thatbestände einen einzigen zu componiren, und so-
mit die einzelnen Acte ihrer gesetzlichen Selbstständigkeit zu
entkleiden? Hierzu wäre eine besondere gesetzliche Ermäch-
tigung erforderlich, welche von dem deutschen Strafgesetzbuche
nirgends ertheilt worden ist, und die namentlich aus §. 74
des Strafgesetzbuches nicht demonstrirt werden kann. Denn,
wenn auch hier von "mehreren selbstständigen Handlungen"
die Rede ist, so ist doch damit nicht gesagt, daß mehrere
nach dem Gesetz wirklich selbstständige Handlungen irgend-
wie zu unselbstständigen qualificirt werden könnten. Es ent-
fällt dieses Argument (Schwarze, Commentar S. 274) für
die Fortexistenz des fortgesetzten Verbrechens um so mehr,
als es nach dem Strafgesetzbuche wirklich Mehrheiten
von Handlungen gibt, welche, obwohl jede, an und für sich
betrachtet, eine selbstständige Rechtsverletzung enthält, doch
nicht concurriren, weil sie als unselbstständige aufgefaßt
werden. Das Anzünden eines Hauses an verschiedenen
Stellen würde hierher gehören. Aber wenn auch dem Gesetze
ein solches Zusammenfassen an und für sich selbstständiger
Handlungen unter einen gemeinschaftlichen Gesichtspunkt --
als fortgesetztes Verbrechen -- zusteht, so doch nicht dem
Thäter.

Es dürfte sich aus diesen Ausführungen ergeben haben,

zu der Form des fortgeſetzten Verbrechens zu nehmen brauche.
Obgleich nun jetzt dieſe Befugniß von dem deutſchen Straf-
geſetzbuch geſtattet worden iſt, ſo wird doch, neuerdings wieder
von Stemann Gerichtsſaal 1872 S. 23 flg. behauptet, daß
dennoch das fortgeſetzte Verbrechen noch fernerhin ſeine
Exiſtenz beibehalten habe. Erfüllt aber jeder Act des fort-
geſetzten Verbrechens den geſetzlichen vollen ſubjectiven und
objectiven Thatbeſtand des betreffenden Verbrechens, wie kann
da der Thäter berechtigt ſein, ſich aus mehreren ſolcher ſelbſt-
ſtändiger Thatbeſtände einen einzigen zu componiren, und ſo-
mit die einzelnen Acte ihrer geſetzlichen Selbſtſtändigkeit zu
entkleiden? Hierzu wäre eine beſondere geſetzliche Ermäch-
tigung erforderlich, welche von dem deutſchen Strafgeſetzbuche
nirgends ertheilt worden iſt, und die namentlich aus §. 74
des Strafgeſetzbuches nicht demonſtrirt werden kann. Denn,
wenn auch hier von „mehreren ſelbſtſtändigen Handlungen“
die Rede iſt, ſo iſt doch damit nicht geſagt, daß mehrere
nach dem Geſetz wirklich ſelbſtſtändige Handlungen irgend-
wie zu unſelbſtſtändigen qualificirt werden könnten. Es ent-
fällt dieſes Argument (Schwarze, Commentar S. 274) für
die Fortexiſtenz des fortgeſetzten Verbrechens um ſo mehr,
als es nach dem Strafgeſetzbuche wirklich Mehrheiten
von Handlungen gibt, welche, obwohl jede, an und für ſich
betrachtet, eine ſelbſtſtändige Rechtsverletzung enthält, doch
nicht concurriren, weil ſie als unſelbſtſtändige aufgefaßt
werden. Das Anzünden eines Hauſes an verſchiedenen
Stellen würde hierher gehören. Aber wenn auch dem Geſetze
ein ſolches Zuſammenfaſſen an und für ſich ſelbſtſtändiger
Handlungen unter einen gemeinſchaftlichen Geſichtspunkt —
als fortgeſetztes Verbrechen — zuſteht, ſo doch nicht dem
Thäter.

Es dürfte ſich aus dieſen Ausführungen ergeben haben,

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[55/0059] zu der Form des fortgeſetzten Verbrechens zu nehmen brauche. Obgleich nun jetzt dieſe Befugniß von dem deutſchen Straf- geſetzbuch geſtattet worden iſt, ſo wird doch, neuerdings wieder von Stemann Gerichtsſaal 1872 S. 23 flg. behauptet, daß dennoch das fortgeſetzte Verbrechen noch fernerhin ſeine Exiſtenz beibehalten habe. Erfüllt aber jeder Act des fort- geſetzten Verbrechens den geſetzlichen vollen ſubjectiven und objectiven Thatbeſtand des betreffenden Verbrechens, wie kann da der Thäter berechtigt ſein, ſich aus mehreren ſolcher ſelbſt- ſtändiger Thatbeſtände einen einzigen zu componiren, und ſo- mit die einzelnen Acte ihrer geſetzlichen Selbſtſtändigkeit zu entkleiden? Hierzu wäre eine beſondere geſetzliche Ermäch- tigung erforderlich, welche von dem deutſchen Strafgeſetzbuche nirgends ertheilt worden iſt, und die namentlich aus §. 74 des Strafgeſetzbuches nicht demonſtrirt werden kann. Denn, wenn auch hier von „mehreren ſelbſtſtändigen Handlungen“ die Rede iſt, ſo iſt doch damit nicht geſagt, daß mehrere nach dem Geſetz wirklich ſelbſtſtändige Handlungen irgend- wie zu unſelbſtſtändigen qualificirt werden könnten. Es ent- fällt dieſes Argument (Schwarze, Commentar S. 274) für die Fortexiſtenz des fortgeſetzten Verbrechens um ſo mehr, als es nach dem Strafgeſetzbuche wirklich Mehrheiten von Handlungen gibt, welche, obwohl jede, an und für ſich betrachtet, eine ſelbſtſtändige Rechtsverletzung enthält, doch nicht concurriren, weil ſie als unſelbſtſtändige aufgefaßt werden. Das Anzünden eines Hauſes an verſchiedenen Stellen würde hierher gehören. Aber wenn auch dem Geſetze ein ſolches Zuſammenfaſſen an und für ſich ſelbſtſtändiger Handlungen unter einen gemeinſchaftlichen Geſichtspunkt — als fortgeſetztes Verbrechen — zuſteht, ſo doch nicht dem Thäter. Es dürfte ſich aus dieſen Ausführungen ergeben haben,

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Zitationshilfe: Buri, Maximilian von: Ueber Causalität und deren Verantwortung. Leipzig, 1873, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buri_causalitaet_1873/59>, abgerufen am 29.04.2024.