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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

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einen Tropfen Wein mit den Lippen berüh-
ren, eh er den Augen eine solche Richtung
gegeben, daß er mit beyden zugleich seine
eigne Nasenspitze erblicket. Das wär, wenn
sichs so verhält, doch nur ein willkührliches
Zeichen, das auf den Charakter des Men-
schen keine Beziehung hat. Meiner Mei-
nung nach, sind die Theegesellschaften nicht
des dürftigen Trankes, sondern des Hand-
manövres wegen mit der Tasse erfunden;
denn diese nahrlosen Theeschmäuße sind erst
mit der Physiognomik aufgelebt. Was Sie
für Steifheit und Trübsinn in dergleichen
Cotterieen halten, ist eigentlich Beobach-
tungsgeist, Aufmerksamkeit, und physiogno-
misches Studium. Wenn Sie die deut-
schen Theekränzchen aus diesem Gesichts-
punkte betrachten, werden Sie hoffentlich
mit diesen Gesellschaften sich wieder aus-
söhnen. Da soll mich Gott bewahren! er-
wiedert' er. Die grosse amerikanische Thee-

gesell-
Q 5

einen Tropfen Wein mit den Lippen beruͤh-
ren, eh er den Augen eine ſolche Richtung
gegeben, daß er mit beyden zugleich ſeine
eigne Naſenſpitze erblicket. Das waͤr, wenn
ſichs ſo verhaͤlt, doch nur ein willkuͤhrliches
Zeichen, das auf den Charakter des Men-
ſchen keine Beziehung hat. Meiner Mei-
nung nach, ſind die Theegeſellſchaften nicht
des duͤrftigen Trankes, ſondern des Hand-
manoͤvres wegen mit der Taſſe erfunden;
denn dieſe nahrloſen Theeſchmaͤuße ſind erſt
mit der Phyſiognomik aufgelebt. Was Sie
fuͤr Steifheit und Truͤbſinn in dergleichen
Cotterieen halten, iſt eigentlich Beobach-
tungsgeiſt, Aufmerkſamkeit, und phyſiogno-
miſches Studium. Wenn Sie die deut-
ſchen Theekraͤnzchen aus dieſem Geſichts-
punkte betrachten, werden Sie hoffentlich
mit dieſen Geſellſchaften ſich wieder aus-
ſoͤhnen. Da ſoll mich Gott bewahren! er-
wiedert’ er. Die groſſe amerikaniſche Thee-

geſell-
Q 5
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[249/0257] einen Tropfen Wein mit den Lippen beruͤh- ren, eh er den Augen eine ſolche Richtung gegeben, daß er mit beyden zugleich ſeine eigne Naſenſpitze erblicket. Das waͤr, wenn ſichs ſo verhaͤlt, doch nur ein willkuͤhrliches Zeichen, das auf den Charakter des Men- ſchen keine Beziehung hat. Meiner Mei- nung nach, ſind die Theegeſellſchaften nicht des duͤrftigen Trankes, ſondern des Hand- manoͤvres wegen mit der Taſſe erfunden; denn dieſe nahrloſen Theeſchmaͤuße ſind erſt mit der Phyſiognomik aufgelebt. Was Sie fuͤr Steifheit und Truͤbſinn in dergleichen Cotterieen halten, iſt eigentlich Beobach- tungsgeiſt, Aufmerkſamkeit, und phyſiogno- miſches Studium. Wenn Sie die deut- ſchen Theekraͤnzchen aus dieſem Geſichts- punkte betrachten, werden Sie hoffentlich mit dieſen Geſellſchaften ſich wieder aus- ſoͤhnen. Da ſoll mich Gott bewahren! er- wiedert’ er. Die groſſe amerikaniſche Thee- geſell- Q 5

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/257>, abgerufen am 26.04.2024.