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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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und spielte damit, ähnlich wie ein Mensch, der
Freude daran hat, wenn er einen armen gekränkten
Menschen voll Furcht, er sey von ihm gebissen,
von ihm weglaufen siehet.

Das war des Hunds seine Ordnung, aber
wie gesagt, der Michel verstund sie nicht, und
stellte sich, so bald er ihn gegen sich anspringen sahe,
mit dem Rücken gegen die Mauer, sagte ganz laut,
ist es so gemeynt? Empfieng ihn da mit seinem
Knorrenstock, wie ein Mann, der auch schon Hunde
gesehen, und nicht vor einem jeden flieht. Der
Hund dieses Empfangs so ungewohnt als der Mi-
chel des Angrifs, vergaß ob dem Streich seine Er-
ziehungsregeln vollends, und packte seinen Mann
wie ein ganz natürlicher und ohne Kunst gezogener
Hund mit der vollen Kraft seiner Zähne am Schen-
kel; aber dieser stärker als der Hund, schwenkte
ihm den Schenkel aus der Schnorren, und schlug
ihm den zweyten Streich so hart auf die Rippen,
daß er heulend zurück wich, und auf dem Bauch
kroch.

Du verfluchter Bube, wart! wenn der Hund
drauf geht, rief ihm Sylvia von der Terrasse hin-
unter, und er, der vor Schmerz und Wuth nur
den Hund im Kopf hatte, und in diesem Augen-
blick noch nicht im Stand war einen genugsamen
Unterschied zwischen ihr und ihm zu machen, rief

und ſpielte damit, aͤhnlich wie ein Menſch, der
Freude daran hat, wenn er einen armen gekraͤnkten
Menſchen voll Furcht, er ſey von ihm gebiſſen,
von ihm weglaufen ſiehet.

Das war des Hunds ſeine Ordnung, aber
wie geſagt, der Michel verſtund ſie nicht, und
ſtellte ſich, ſo bald er ihn gegen ſich anſpringen ſahe,
mit dem Ruͤcken gegen die Mauer, ſagte ganz laut,
iſt es ſo gemeynt? Empfieng ihn da mit ſeinem
Knorrenſtock, wie ein Mann, der auch ſchon Hunde
geſehen, und nicht vor einem jeden flieht. Der
Hund dieſes Empfangs ſo ungewohnt als der Mi-
chel des Angrifs, vergaß ob dem Streich ſeine Er-
ziehungsregeln vollends, und packte ſeinen Mann
wie ein ganz natuͤrlicher und ohne Kunſt gezogener
Hund mit der vollen Kraft ſeiner Zaͤhne am Schen-
kel; aber dieſer ſtaͤrker als der Hund, ſchwenkte
ihm den Schenkel aus der Schnorren, und ſchlug
ihm den zweyten Streich ſo hart auf die Rippen,
daß er heulend zuruͤck wich, und auf dem Bauch
kroch.

Du verfluchter Bube, wart! wenn der Hund
drauf geht, rief ihm Sylvia von der Terraſſe hin-
unter, und er, der vor Schmerz und Wuth nur
den Hund im Kopf hatte, und in dieſem Augen-
blick noch nicht im Stand war einen genugſamen
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[27/0045] und ſpielte damit, aͤhnlich wie ein Menſch, der Freude daran hat, wenn er einen armen gekraͤnkten Menſchen voll Furcht, er ſey von ihm gebiſſen, von ihm weglaufen ſiehet. Das war des Hunds ſeine Ordnung, aber wie geſagt, der Michel verſtund ſie nicht, und ſtellte ſich, ſo bald er ihn gegen ſich anſpringen ſahe, mit dem Ruͤcken gegen die Mauer, ſagte ganz laut, iſt es ſo gemeynt? Empfieng ihn da mit ſeinem Knorrenſtock, wie ein Mann, der auch ſchon Hunde geſehen, und nicht vor einem jeden flieht. Der Hund dieſes Empfangs ſo ungewohnt als der Mi- chel des Angrifs, vergaß ob dem Streich ſeine Er- ziehungsregeln vollends, und packte ſeinen Mann wie ein ganz natuͤrlicher und ohne Kunſt gezogener Hund mit der vollen Kraft ſeiner Zaͤhne am Schen- kel; aber dieſer ſtaͤrker als der Hund, ſchwenkte ihm den Schenkel aus der Schnorren, und ſchlug ihm den zweyten Streich ſo hart auf die Rippen, daß er heulend zuruͤck wich, und auf dem Bauch kroch. Du verfluchter Bube, wart! wenn der Hund drauf geht, rief ihm Sylvia von der Terraſſe hin- unter, und er, der vor Schmerz und Wuth nur den Hund im Kopf hatte, und in dieſem Augen- blick noch nicht im Stand war einen genugſamen Unterſchied zwiſchen ihr und ihm zu machen, rief

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/45>, abgerufen am 26.04.2024.