Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_248.001 Mit solcher Reflexion über die Erscheinungen der Außenwelt, pwo_248.006 Aber es greift nun die bewußte Arbeit der souveränen Phantasie pwo_248.011 Bewußte Arbeit wird weiterhin sogar die Darstellung der Thatsachen. pwo_248.018 Eine unvergleichlich bedeutsame Bereicherung der Dichterseele hat pwo_248.031 pwo_248.001 Mit solcher Reflexion über die Erscheinungen der Außenwelt, pwo_248.006 Aber es greift nun die bewußte Arbeit der souveränen Phantasie pwo_248.011 Bewußte Arbeit wird weiterhin sogar die Darstellung der Thatsachen. pwo_248.018 Eine unvergleichlich bedeutsame Bereicherung der Dichterseele hat pwo_248.031 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0262" n="248"/><lb n="pwo_248.001"/> für dieselben zu stellen. So hat er sich über sein eigenes <lb n="pwo_248.002"/> Gefühl klar zu werden, sein eigenes Urteil zu erfragen; mit andern <lb n="pwo_248.003"/> Worten: die Dichterseele beginnt nun zu <hi rendition="#g">reflektieren.</hi> Je <hi rendition="#g">reicher</hi> <lb n="pwo_248.004"/> des Dichters Seelenleben, desto voller seine Poesie.</p> <lb n="pwo_248.005"/> <p> Mit solcher Reflexion über die Erscheinungen der Außenwelt, <lb n="pwo_248.006"/> alsdann über die eigene Jnnenwelt, setzt er aber zunächst wie selbstverständlich <lb n="pwo_248.007"/> voraus, daß er Allgemeingiltiges fühlt und ausspricht. <lb n="pwo_248.008"/> Eines Gegensatzes zu möglichen andern Auffassungen ist er sich noch <lb n="pwo_248.009"/> keineswegs bewußt. Er fühlt sich als objektiver Geist.</p> <lb n="pwo_248.010"/> <p> Aber es greift nun die bewußte Arbeit der souveränen Phantasie <lb n="pwo_248.011"/> ein. Schon äußerlich im Stoff. Bislang glaubte ihn jeder Sänger, <lb n="pwo_248.012"/> bei allen unbewußten Umbildungen, getreu nach den Thatsachen vorzutragen. <lb n="pwo_248.013"/> Wir wissen, daß in Deutschland noch um die Wende des <lb n="pwo_248.014"/> 12. und 13. Jahrhunderts die „Erfinder wilder Märe“, d. h. Dichter, <lb n="pwo_248.015"/> die sich dem Verdacht willkürlicher, selbständiger Erfindung aussetzten, <lb n="pwo_248.016"/> geächtet oder doch gescholten wurden.</p> <lb n="pwo_248.017"/> <p> Bewußte Arbeit wird weiterhin sogar die Darstellung der Thatsachen. <lb n="pwo_248.018"/> Nicht genug an der Thatsächlichkeit der Erscheinungen, greift <lb n="pwo_248.019"/> psychologische Motivierung platz: der Dichtergeist versenkt sich in den <lb n="pwo_248.020"/> – freilich noch nicht in voller Jndividualität erfaßten – Geist <lb n="pwo_248.021"/> seiner Gestalten, um ihre Handlungen zu begreifen, zu erläutern. <lb n="pwo_248.022"/> Nicht genug an der äußern Anschauung, sucht die Dichterseele nun <lb n="pwo_248.023"/> eine innere Anschauung zu gewinnen. Zunächst gelingt dem Dichter <lb n="pwo_248.024"/> dies nur in allgemeiner Form, indem er aus seinem eigenen Kopfe <lb n="pwo_248.025"/> das Maß der Dinge nimmt, ohne zu ahnen, daß sie „nur sich selber <lb n="pwo_248.026"/> richten“. Wenn wir dieses Erwachen der Reflexion in Gnomik und <lb n="pwo_248.027"/> andre didaktische Tendenzen münden sehen, so hat der allgemeingültige <lb n="pwo_248.028"/> Zug der vorläufigen Seelenbeobachtungen sein natürliches Ziel <lb n="pwo_248.029"/> gefunden.</p> <lb n="pwo_248.030"/> <p> Eine unvergleichlich bedeutsame Bereicherung der Dichterseele hat <lb n="pwo_248.031"/> sich gleichwohl mit dieser Vergeistigung angebahnt. Die Entdeckung <lb n="pwo_248.032"/> und schrankenlose Entfaltung der Jnnenwelt durchbrach die Starrheit <lb n="pwo_248.033"/> und Aeußerlichkeit in der Auffassung menschlicher Handlungen, gab <lb n="pwo_248.034"/> zunächst und vor allem der dichterischen Anschauung neben der Außenwelt <lb n="pwo_248.035"/> auch die <hi rendition="#g">Jnnenwelt</hi> zu eigen. Eine immer weiter greifende <lb n="pwo_248.036"/> Vergeistigung der Außenwelt einerseits, eine merkliche Erweichung und </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [248/0262]
pwo_248.001
für dieselben zu stellen. So hat er sich über sein eigenes pwo_248.002
Gefühl klar zu werden, sein eigenes Urteil zu erfragen; mit andern pwo_248.003
Worten: die Dichterseele beginnt nun zu reflektieren. Je reicher pwo_248.004
des Dichters Seelenleben, desto voller seine Poesie.
pwo_248.005
Mit solcher Reflexion über die Erscheinungen der Außenwelt, pwo_248.006
alsdann über die eigene Jnnenwelt, setzt er aber zunächst wie selbstverständlich pwo_248.007
voraus, daß er Allgemeingiltiges fühlt und ausspricht. pwo_248.008
Eines Gegensatzes zu möglichen andern Auffassungen ist er sich noch pwo_248.009
keineswegs bewußt. Er fühlt sich als objektiver Geist.
pwo_248.010
Aber es greift nun die bewußte Arbeit der souveränen Phantasie pwo_248.011
ein. Schon äußerlich im Stoff. Bislang glaubte ihn jeder Sänger, pwo_248.012
bei allen unbewußten Umbildungen, getreu nach den Thatsachen vorzutragen. pwo_248.013
Wir wissen, daß in Deutschland noch um die Wende des pwo_248.014
12. und 13. Jahrhunderts die „Erfinder wilder Märe“, d. h. Dichter, pwo_248.015
die sich dem Verdacht willkürlicher, selbständiger Erfindung aussetzten, pwo_248.016
geächtet oder doch gescholten wurden.
pwo_248.017
Bewußte Arbeit wird weiterhin sogar die Darstellung der Thatsachen. pwo_248.018
Nicht genug an der Thatsächlichkeit der Erscheinungen, greift pwo_248.019
psychologische Motivierung platz: der Dichtergeist versenkt sich in den pwo_248.020
– freilich noch nicht in voller Jndividualität erfaßten – Geist pwo_248.021
seiner Gestalten, um ihre Handlungen zu begreifen, zu erläutern. pwo_248.022
Nicht genug an der äußern Anschauung, sucht die Dichterseele nun pwo_248.023
eine innere Anschauung zu gewinnen. Zunächst gelingt dem Dichter pwo_248.024
dies nur in allgemeiner Form, indem er aus seinem eigenen Kopfe pwo_248.025
das Maß der Dinge nimmt, ohne zu ahnen, daß sie „nur sich selber pwo_248.026
richten“. Wenn wir dieses Erwachen der Reflexion in Gnomik und pwo_248.027
andre didaktische Tendenzen münden sehen, so hat der allgemeingültige pwo_248.028
Zug der vorläufigen Seelenbeobachtungen sein natürliches Ziel pwo_248.029
gefunden.
pwo_248.030
Eine unvergleichlich bedeutsame Bereicherung der Dichterseele hat pwo_248.031
sich gleichwohl mit dieser Vergeistigung angebahnt. Die Entdeckung pwo_248.032
und schrankenlose Entfaltung der Jnnenwelt durchbrach die Starrheit pwo_248.033
und Aeußerlichkeit in der Auffassung menschlicher Handlungen, gab pwo_248.034
zunächst und vor allem der dichterischen Anschauung neben der Außenwelt pwo_248.035
auch die Jnnenwelt zu eigen. Eine immer weiter greifende pwo_248.036
Vergeistigung der Außenwelt einerseits, eine merkliche Erweichung und
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |